Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
Jill wollte gehen, aber Brian fasste sie am Arm.
»Ich bin Brian Pendle. Ich glaube, wir beide kennen uns noch nicht.« Sein Griff war überraschend fest, seine blauen Augen hell hinter den Brillengläsern.
Jill entzog ihm ihren Arm. »Ich bin Jill …«
»Oh, ich weiß, wer Sie sind.« Brian sprach in ruhigem Ton. »Darf ich Ihnen die Lage erklären, Doktor Farrow? Victoria ist nach dem Tod ihres Vaters durch die Hölle gegangen. Sie musste sich um alles kümmern und gleichzeitig weiterstudieren. Ich weiß nicht, was Ihre Hintergedanken bei dieser ganzen Sache sind, aber halten Sie sich gefälligst aus ihrem Leben heraus.«
»Aber ich habe keine Hintergedanken. Ich will nur Abby finden.«
»Trotzdem. Das alles geht Sie nichts an. Ich bin Anwalt, und falls Sie Victoria weiterhin zu Unzeiten anrufen oder das Eigentum ihres Vaters betreten, werde ich eine einstweilige Verfügung gegen Sie erwirken.«
Jill biss sich auf die Zunge. »Dann auf Wiedersehen.« Einstweilige Verfügungen schreckten sie nicht mehr. Viel mehr Angst hatte sie um Abby. Kein Anwalt würde eine Mutter je auf ihrem Weg zurückhalten können.
24
»Ich bin Jill Farrow, vielleicht können Sie mir helfen?« An der Rezeption saß ein Detective. Nie zuvor hatte sie ein richtiges Dezernat betreten – im Fernsehen machten sie auf jeden Fall mehr her. Zwei Beamte arbeiteten an veralteten Computern, auf ihren Tischen stapelten sich Akten und Papiere. Die Sonne kämpfte sich durch verschmutzte Fenster, ihre Strahlen fielen auf zwei Aktenschränke, die nicht zueinanderpassten, und auf eine Pinnwand aus Kork, an der Fahndungsfotos, Memos, Cartoons und ein altes Plakat für die College-Meisterschaft im Basketball hingen.
»Hi, ich bin Detective Pitkowski.« Der Polizist versuchte mit einer Hand einen halb aufgegessenen Egg McMuffin zu verdecken, dessen Geruch im Raum hing. Er war in den Fünfzigern, hatte eine Glatze und einen außergewöhnlich unebenen Schädel, seine Brille saß auf einer Knollennase. »Was kann ich für Sie tun?«
»Es geht um meine frühere Stieftochter, Abby Skyler. Sie ist neunzehn und gestern Nacht nicht nach Hause gekommen. Ich befürchte, dass ihr Wegbleiben etwas mit dem Tod ihres Vaters zu tun hat.«
»Skyler? Den Namen kenne ich doch.« Detective Pitkowski nickte und schob seine Brille hoch. »Aber es war kein Mord.«
»Seine Tochter Abby glaubt das aber. Haben Sie den Fall bearbeitet?«
»Nein. Und Sie sind?«
»Seine Exfrau.«
»Das ist wohl ein Scherz?« Der Polizist lachte, sein Wanst bewegte sich auf und ab, die unteren Knöpfe an seinem weißen kurzärmligen Hemd drohten abzuspringen. »Meine Ex würde eine Party schmeißen, wenn ich ins Gras beiße.«
Jill versuchte zu lächeln. »Kein Scherz. Ich suche Abby. Kann ich mit dem Detective sprechen, der den Fall bearbeitet hat?«
»Detective Reed hat dienstfrei. Außerdem gehören Sie nicht zum engsten Familienkreis.«
»Aber ich habe dazugehört.«
»Das war einmal. Es tut mir leid.«
Jill war ratlos. »Abby war die ganze Nacht weg. Sie stellt sich Fragen wegen dem Tod ihres Vaters. Ich habe Angst, dass ihr etwas passiert ist.«
»Und was?«
»Im schlimmsten Fall ein Verbrechen.« Jill schauderte es bei dem Gedanken. »Sie glaubt, dass mit den Schmerztabletten, an denen ihr Vater gestorben ist, etwas nicht gestimmt hat. Ich habe herausgefunden, dass das Rezept dafür gefälscht war. Und der Typ, der es eingelöst hat, war verkleidet.«
»Halt, halt, halt!« Detective Pitkowski hob die Hand. »Woher wissen Sie das alles?«
»Ich bin in der Apotheke gewesen. Und ich glaube, dass Abby in letzter Zeit von einem schwarzen SUV verfolgt wurde. Genauso wie ich. Das Nummernschild beginnt mit einem T.«
Der Detective runzelte die Stirn.
»Geben Sie mir einen Rat. Wie kann ich Abby wiederfinden?«
»Nach nur einer Nacht gilt niemand als vermisst und muss auch nicht wiedergefunden werden.«
»Wenn die Sache mit dem Vater nicht wäre, würde ich Ihnen zustimmen. Aber falls er doch ermordet worden ist, hat Abby vielleicht etwas davon mitgekriegt. Oder der Mörder denkt es zumindest.«
»Sie spekulieren ganz schön wild herum.« Der Detective sah ihr in die Augen. »Wenn Ihre Stieftochter nach Hause kommt – und darauf wette ich –, schicken Sie sie bei uns vorbei. Detective Reed wird sich mit ihr zusammensetzen und jede ihrer Fragen beantworten. Wenn Sie wollen, auch in Ihrem Beisein.«
»Eine Frage noch. Detective Reed hat das Handy von Abbys Vater, seine
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