Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
dann lass ich es!
Ob sie sich jetzt trennten? Jill biss sich auf die Lippen. Vielleicht sollte es für sie einfach kein »Bis dass der Tod euch scheidet« geben. Jill fühlte sich in jene Nacht zurückversetzt, in der es zum Bruch mit William gekommen war. Sie hatte ihn des Diebstahls bezichtigt, und er hatte zu toben begonnen, nachdem sie ihn vorsichtig auf die verschwundenen Rezeptblöcke angesprochen hatte.
Wie kannst du es wagen, mich zu beschuldigen! Du widerst mich an!
Sein Gesicht verfärbte sich rot, die Adern an Stirn und Hals schwollen an. Er war stinkwütend. Jill rang nach Luft. Was würde er als Nächstes tun? Sie bekam Angst. Wir haben ein Video, auf dem du zu sehen bist!, rief sie ihm nach. William hastete die Treppe hinunter, sie hinterher. Hoffentlich ließ er die Mädchen in Ruhe. William, hör auf, wir können über alles reden. Tu ihnen nicht weh, bitte!
Die Mädchen saßen im Wohnzimmer, sahen fern und machten Hausaufgaben. Neben ihnen standen Schalen mit selbstgemachtem Popcorn, Beef ließ die auf den Teppich gefallenen Stücke Mais in seinem Maul verschwinden.
Abby, Victoria, holt eure Mäntel! Wir hauen ab! Und zwar sofort! Steht auf, verdammt noch mal!
Dad, was ist denn los? Victoria schüttelte den Kopf. Die Angst stand im Gesicht geschrieben. Nein! Das meinst du doch nicht ernst!
Abby brach in Tränen aus. Ich will hier nicht weg. Nein, Daddy, nein! Jill, was ist hier los? Wir wohnen doch hier!
BEEILT EUCH , MÄDELS , ABER DALLI ! William schnappte sich Abby und zerriss dabei ihre Pyjamajacke. Sie gehörte zu ihrem Lieblingsschlafanzug mit kleinen Tigerkatzen im Cartoonstil.
DADDY ?, schrie Abby voller Angst. Victoria rannte davon, ihr Laptop fiel auf den Boden.
MAMA ! MAMA ! Die kleine Megan war inzwischen in Jills Arme geflüchtet. MAMA !
William, nein!, schrie Jill und drückte Megan fest an sich. Die Kleine zitterte, schrie und schrie und klammerte sich an ihre Mutter. Jill hatte keine Möglichkeit, Abby und Victoria hinterherzulaufen. Die beiden Mädchen wurden von ihrem Vater aus dem Haus geschleift. Im Flur griff er sich noch schnell die Wagenschlüssel, dann knallte er die Haustür zu.
Es war eine Sache von ein paar Sekunden gewesen – schon hatte eine ganze Familie in Trümmern gelegen. Nur Jill und Megan waren übrig geblieben. Sie lagen auf dem Fußboden und weinten. Beef lief hin und her und bellte. Man hatte ihn in Schrecken versetzt, ohne ihm zu sagen, warum. Er war so durcheinander, dass er sogar das auf dem Teppich verschüttete Popcorn links liegen ließ.
Jill wischte sich eine Träne aus dem Gesicht, sie war wieder in der Gegenwart. Sie umschlang sich mit ihren Armen – umarmte sich quasi selbst – und atmete die Nachtluft ein. Es war kühl, die Dunkelheit über ihr verschluckte gnädigerweise noch den kleinsten Stern. Grillen zirpten, Fledermäuse fiepten.
Beef hob den Kopf und blickte Richtung Pool. Sie folgte seinem Blick, konnte aber nichts sehen, was sein Interesse erregte. Unbeleuchtet wirkte das Becken wie ein schwarzes Loch. Schon früh im Jahr füllte Jill den Pool mit warmem Wasser. Sie liebte es, in ihm zu schwimmen, aber dieses Jahr hatte sie ihn spät abends noch nicht benutzt. Wieso nicht heute Nacht? Das letzte Mal war sie nachts im letzten Sommer im Pool gewesen, zusammen mit Sam.
Ich schlafe heute im Labor.
Sie fand den Lichtschalter neben den Treppenstufen. Das Licht verwandelte den Pool in ein türkisfarbenes leuchtendes Rechteck. Er glich einem blauen Topas, den man für jene Ringe verwendete, von denen Jills Mutter ihr Lebtag lang geträumt hatte. Jill erinnerte sich an den Hauskauf. Wie glücklich war sie gewesen, sich endlich einen eigenen Pool leisten zu können. Sie war in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Vater war Bauzeichner, ihre Mutter Krankenschwester. Als Kind hatte sie nur öffentliche Schwimmbäder gekannt.
Spontan schlüpfte sie aus Pulli und Hose und ließ beides auf die Steinplatten fallen. Sie trug nur noch BH und Höschen, aber durch den Sichtschutzzaun konnte sie niemand sehen. Zunächst streckte sie nur einen Fuß ins Wasser, so wie die alten italienischen Mamas am Strand von New Jersey es taten, um sich an das Nass erst zu gewöhnen. Beef trottete zu ihr und ließ sich von ihr den Kopf kraulen. Jill war allein mit sich, ihrem Hund und dem Wasser. Keine Männer, keine Kinder.
Sie stieg ins Wasser, die Kälte ließ sie erzittern. Sie tauchte unter, jetzt war die Kälte überall. Sie hielt den Atem an,
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