Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
Gleiche gestern schon einmal gesagt hatte.
»Wo liegt das Problem, Mom? Wir arbeiten doch.«
»Nicht gleich pampig werden. Wie kommst du morgen zur Schule?«
»Carol nimmt mich mit, ganz einfach.«
»Seit wann nennst du sie Carol? Für dich ist sie noch immer Mrs. Ariz.« Jill mochte Courtneys Mutter sehr. Seit ihre Töchter im selben Schwimmverein waren, waren auch Carol und sie Freundinnen geworden. »Vergiss nicht, dich in meinem Namen bei ihr zu bedanken. Sie hat in letzter Zeit schon oft deinen Chauffeur gespielt.«
»Ihr macht das nichts aus.«
»Und was ziehst du morgen an? Ich kann dir morgen früh frische Kleider vorbeibringen und euch dann zur Schule fahren.«
»Mom, nein.« Megan stöhnte. »Sam hat mir ein paar Sachen vorbeigebracht, und außerdem kann ich mir von Courtney etwas leihen.«
Jill rieb sich das Gesicht. Wie sollte sie Megan beibringen, dass es zwischen ihr und Sam vorbei war? »Mir wäre es lieber, du würdest zu Hause schlafen.«
»Mir geht’s gut hier.«
Jill seufzte. »Dann gute Nacht, ich hab dich lieb.«
»Ich hab dich auch lieb, Mom. Gute Nacht.«
»Danke. Und vergiss nicht …«
Aber Megan hatte schon aufgelegt. Jill wählte Victorias Nummer und suchte, während es klingelte, im Internet nach Nina D’Orive.
»Jill?«, meldete sich Victoria. »Hat Abby angerufen?«
»Nein.«
»Bei mir hat sie sich auch nicht gemeldet.« Victorias Stimme klang wieder distanziert, aber besorgt. »Allmählich bekomme ich Angst.«
»Das verstehe ich gut.«
Die Suchmaschine hatte inzwischen drei Nina D’Orives im Staat New York gefunden. Die erste wohnte in 335 Winding Way, Scarsdale, wurde aber mit siebenundsechzig Jahren gelistet. Jill wunderte sich, dass im Web sogar das Alter der Gesuchten zu finden war. »Was ist gestern Abend bei den Detectives herausgekommen?«
»Nichts. Weder Detective Reed noch Detective Pitkowski waren da. Ich habe eine Nachricht hinterlassen, dass sie mich zurückrufen sollen.«
»Haben sie?«
»Nein.«
»Dann müssen wir noch mal hin.«
»Gut, aber haben wir ihnen etwas Neues zu berichten? Doch eher nicht.«
»Falsch, das haben wir.« Jill hatte beschlossen, Victoria die Wahrheit zu sagen. Schließlich war sie alt genug. »Ich habe in New York etwas erfahren, das uns weiterbringen kann.«
»Und was?«
»Das ist eine lange Geschichte. Nicht fürs Telefon geeignet.«
Die zweite Nina D’Orive wohnte 701 Young Street in Albany. Sie war fünfundvierzig, aber Albany dürfte selbst für William für ein Liebesabenteuer etwas zu weitab vom Schuss liegen. »Treffen wir uns gleich vor dem Revier?«
»Na gut. Ich mache mich auf den Weg.«
Jill legte auf. Die dritte Nina wohnte im Apt. 2-F, East 94th Street, New York City. Sie war dreißig Jahre alt, was schon mehr Williams Geschmack entsprach. Außerdem hatte Belle, die Maklerin, Williams Freundin als jung be schrieben.
Jills Herz begann schneller zu schlagen. Sie klickte auf den hervorgehobenen Namen, und auf dem Bildschirm erschien eine Art Tabelle, in der unter anderem D’Orives Arbeitsplatz genannt wurde. Zuletzt hatte sie bei Pharmacen Pharmaceuticals gearbeitet. Jill druckte die Seite aus und machte sich auf den Weg.
43
Jill, Victoria und ihr Freund Brian saßen Detective Hightower gegenüber. Er war ein großer, sportlicher, schwarzer Beamter mit vertrauenerweckenden braunen Augen, kurzem Haar und einem struppigen Schnurrbart. Detective Pitkowski war außer Haus und Detective Reed im Urlaub. »Kümmern Sie sich um den Fall in der Zeit, in der Detective Reed frei hat?«, fragte Jill.
»Nein. Und zwar, weil es keinen Fall gibt, um den wir uns kümmern müssen. Unsere tägliche Arbeit sind Tötungsdelikte, und William Skyler ist nicht getötet worden.« Die Akte lag aufgeschlagen auf seinem Schreibtisch neben Telefonnotizen, alle in kleinen Häufchen akkurat nebeneinander aufgeschichtet. Hightowers Umgangsformen verrieten den Profi. »Miss Skyler«, sagte er zu Victoria, »glauben Sie nicht, dass ich hartherzig bin, aber der Tod Ihres Vaters, den ich sehr bedaure, geht die Polizei nichts an.«
»Aber meine Schwester ist verschwunden, Detective. Sie ruft nicht zurück, was sie sonst immer tut. Ändert das nicht Ihre Meinung?« Victoria hatte sich für ihre Verhältnisse in Schale geworfen, sie trug einen schwarzen Blazer über einem weißen Pulli, dazu hautenge Jeans. Ihr Haar war wie immer aufgedreht, sie war perfekt geschminkt und trug Perlenohrringe. »Abby glaubt, dass Dad ermordet worden ist.
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