Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
Beamte klappte die Akte zu.
»So schnell wird hier also zur Tagesordnung übergegangen?« Jill konnte es nicht glauben.
»Doktor Farrow, ich habe Ihnen zugehört wie schon die beiden Detectives vor mir. Wir haben der Angelegenheit mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als sie verdient hat.« Der Detective zwirbelte seinen Schnurrbart. »Der heutige Abend war ein einziges Fiasko.«
»Dann auf Wiedersehen, Jill.« Victoria und Brian gingen in Richtung Ausgang. »Ich wünsche dir alles Gute.«
Jill blickte den beiden nach und überlegte: Sollte sie die Sache nicht vielleicht doch auf sich beruhen lassen? Sie wusste nicht mehr, wo ihr Platz im Leben war. Hatte sie überhaupt noch einen?
Detective Hightower räusperte sich vernehmlich. »Doktor Farrow, ich denke, wir sind hier fertig.«
»Aber wie kann ich sicher sein, dass Williams Freundin in New York befragt wird?«
»Rufen Sie meine Kollegen in New York an. Und bitte, rennen Sie keinem Wagen mehr hinterher. Ich bin mir sicher, dass der SUV Sie nicht verfolgt hat.«
»Sondern?«
»Es war andersherum. Sie haben ihn verfolgt. Vielleicht ist der Fahrer deshalb in Panik geraten, wer weiß das schon? In zweiundzwanzig Dienstjahren habe ich so einiges gelernt. Die Menschen tun die seltsamsten und unverständlichsten Dinge, und zwar jeden Tag. Die meiste Zeit über spielen sie verrückt.«
Jill nickte. »Ich glaube, damit haben Sie sogar recht.«
»Dabei sind sie keine Kriminellen, sondern einfach nur Idioten. Wie Ihr Ex. Tut mir leid, aber wenn er Sie hat ziehen lassen, war er einer.«
Jill dachte mit gemischten Gefühlen an Sam. »Danke für alles, was Sie getan haben.«
»Gern geschehen.« Hightower streckte ihr die Hand hin. »Weil ich gerade dabei bin: Kann ich Ihnen noch einen Rat geben? Passen Sie auf, dass Sie nicht zwischen die beiden Schwestern geraten. Meine Frau hat eine jüngere Schwester, ich kenne also das Spiel. Die jüngere bleibt immer das Baby, das umsorgt werden will.«
Vielleicht hatte er auch damit recht. Jill kannte sich nicht aus. Sie war wie auch Megan ein Einzelkind.
»Gehen Sie jetzt nach Hause.«
»Das werde ich.« Jill wurde schwer ums Herz. Sie drehte sich um und verließ das Revier, dann wusste sie plötzlich, wohin sie gehen würde.
44
Katie ließ sich von Jill die ganze Geschichte erzählen, während sie ein Diorama bastelte. Filzstifte, Bastelpapier, überteuerter Ton sowie eine Schuhschachtel lagen chaotisch verteilt auf dem Küchentisch. Jill vermisste eine Menge Sachen, die in der Grundschulzeit zu ihrem Leben dazugehört hatten, das Basteln eines Dioramas gehörte allerdings nicht dazu.
»Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll.« Jill stützte das Kinn auf die Hand, eine Tasse mit lauwarmem, koffeinfreiem Kaffee stand parat. »Warum dieses Doppelleben? Und wer ist diese Blondine mit dem Kosmetiktäschchen aus Plastik?«
»Jedenfalls hat sie keine Kinder.«
»Wieso?«
»Na, wegen der Wimpernzange.«
Jill lächelte. »Mehr Ernst, bitte. Es geht hier schließlich um Mord.«
»Garantiert ist sie jung und knackig.« Katie bearbeitete den braunen Ton. »William hat es bestimmt gern mit jungen Dingern getrieben.«
»Aber darum geht’s doch nicht.«
»Doch, darum geht’s.« Katie hielt ein Stück Ton hoch. »Gelungen. Oder?«
»Wer oder was soll das sein?«
»Das ist der Hund Winn-Dixie aus dem gleichnamigen Kinderbuch. Habe ich dir doch gesagt.«
»Oh.« Jill hatte es vergessen. Sie war mit ihren Gedanken woanders gewesen.
»Sein Körper ist zu dick, aber ich schaff es einfach nicht, ihn dünner zu machen. Irgendwie symbolisch.«
»Und was sollen die pinkfarbenen Punkte?«
»Winn-Dixie hat doch ein paar kahle Stellen. Erinnerst du dich nicht?«
Jill erinnerte sich nicht, aber ihr fiel ein, dass sie Megan wegen Abby anrufen sollte. Es war Viertel vor elf. Megan war bestimmt noch nicht im Bett. »Kann ich Megan von deinem Festnetz aus anrufen? Ich hätte es gleich tun sollen.«
»Kein Problem, grüße sie von mir. Und mach dir keine Vorwürfe. Es ist nicht so, als würden sich Teenager unbedingt nach einem Anruf ihrer Mom sehnen.« Katie formte die braunen Beine ihres Hundes. »Was erwarten die eigentlich von einem Zweitklässler? Dass er in drei Tagen ein Buch liest und ein Diorama baut? Warum konnte er nicht auch gleich noch das Jonglieren lernen und die Abi-Prüfung ablegen?«
Megan ging nicht ans Telefon, also sprach Jill ihr auf die Mailbox. »Hallo, Schatz. Wir haben Abby gefunden. Es geht ihr gut – so wie
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