Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
angerufen, aber du warst nicht erreichbar und hast nicht zurückgerufen. Ich habe ihr gesagt, dass sie bei ihr übernachten darf. Schließlich muss ich weg.«
»Mein Handy ist kaputtgegangen.«
»Mach dir nichts draus.« Sam zog den Reißverschluss seines Koffers zu. Ein Geräusch, das, warum auch immer, in ihren Ohren nie angenehm klang.
»Sam, ich habe herausgefunden, dass William ein Doppelleben geführt hat. Er hatte sich in New York eine zweite Identität zugelegt.«
»Was du nicht sagst.« Sam steckte zwei Romane und seinen E-Book-Reader in die Seitentasche des Koffers.
»Ich bin zur New Yorker Polizei gegangen, aber die …«
»Stopp.« Sam stellte den Koffer auf den Boden und klopfte die Tagesdecke ab. »Ich will mein Flugzeug nicht verpassen und möchte mir zum Abschied keine Litanei über deinen Exmann anhören müssen.«
»Schon verstanden.« Jill seufzte resigniert. »Du bist also immer noch sauer?«
»Nein, ich bin unglücklich.« Sam zögerte und versuchte es auf eine weichere Gangart. »Ich finde, diese Tagung kommt zum rechten Zeitpunkt. So können wir beide mal allein nachdenken. Wir stecken ganz schön in der Krise.«
Jill wollte das nicht hören. »Aber das stimmt so nicht.«
»Doch, es stimmt.« Sam ging zur Tür und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Abby ist wie aus dem Nichts bei uns aufgetaucht. Jeder von uns muss sich überlegen, wie es weitergehen soll.«
»Was meinst du damit?«
»Wie oft haben wir die Sache in den letzten Tagen schon durchgekaut?« Er stellte den Koffer wieder ab.
»Willst du mich noch heiraten?«
»Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Ich muss darüber nachdenken, und du solltest es auch tun. Und wenn ich zurückkomme, reden wir darüber.«
Am liebsten wäre Jill in Tränen ausgebrochen. Warum genau, wusste sie nicht. Aus Wut? Aus Angst? Aus Traurigkeit? »Versprochen?«
»Versprochen.«
»Und was ist mit Megan?«
»Sag ihr erst mal nichts davon.«
Jill spürte einen bitteren Geschmack auf der Zunge.
Sam griff wieder nach seinem Koffer. »Erst wenn wir wieder einer Meinung sind, können wir gemeinsam in die Zukunft blicken.«
»Du bestrafst mich also so lange, bis ich deiner Meinung bin?«
»Ich bestrafe dich?«
»Indem du dich verziehst und abhaust.«
Sam schüttelte den Kopf. »Ich habe einen Job, der mich so ausfüllt wie dich deiner. Und nebenbei gesagt erfüllt er mich derzeit auch am meisten. Ich habe keine Lust, wie ein Hündchen auf die Rückkehr von Frauchen zu warten.«
»So fühlst du dich?«
»Genau so fühle ich mich, was kein Wunder ist. Es ist nur die logische Folge deines Verhaltens mir gegenüber. Du hättest es nicht besser planen können.«
»Aber nicht alles im Leben ist ein kontrollierbares Experiment.« Jill hatte plötzlich genug von Sams Wissenschaftsjargon.
»Dann entscheide dich.«
»Wie bitte?«
»Dann entscheide dich. Jetzt. Ich werde niemals, egal in welcher Form und unter welcher Bedingung auch immer, Abbys Vater spielen.«
»Aber sie ist verschwunden. Können wir nicht in der Gegenwart bleiben?«
»Entscheide dich. Jetzt. Willst du eine Familie mit Abby oder eine mit mir?«
»Aber warum sollte ich mich zwischen euch beiden entscheiden?«, fragte Jill.
»Das hast du doch bereits getan«, sagte Sam und ging.
42
Jill fühlte sich gekränkt, leer wie ein Schiff, das man aus seiner Verankerung gerissen hat. Doch sie durfte sich nicht hängen lassen, Abby war noch immer nicht aufgetaucht. Sie schlüpfte in ihre bequemsten Jeans, zog einen Pulli über und lief ins Erdgeschoss. Sie wollte sich bei Victoria melden und noch einmal zur Polizei von Philadelphia gehen.
Sie ging zu dem Telefon in der Küche und rief Megan an. Während es läutete, schaltete sie ihren Laptop ein und checkte ihre E-Mails. Rahuls Untersuchungsergebnis war noch immer nicht da.
»Mom, warum rufst du vom Festnetz aus an?«, fragte Megan, als sie abhob.
»Mein Blackberry hat seinen Geist aufgegeben.«
»Ach, deshalb. Ich habe dir mehrere SMS geschickt. Wundere dich also nicht, wenn du sie siehst.«
»Geht’s euch gut?«
»Von wegen. Wir sitzen noch immer an diesem bescheuerten Projekt. Hast du Abby gefunden?«
»Noch nicht. Hast du was gegessen?«
»Ja. Courtneys Mom hat Lasagne gemacht.«
»Lecker.« Jills Magen knurrte. »Ich wünschte, ich wäre bei euch.«
»Sam hat mir erlaubt, hier zu übernachten. Auch wenn morgen Schule ist.«
»Ich weiß. Aber das ist das letzte Mal, okay?« Jill wusste, dass sie das
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