Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
Bedienungsanleitung lag. Der Rücksitz war leer. Als sie den Schlüssel ins Zündschloss steckte, leuchtete das Armaturenbrett auf.
NAVI stand auf einem der Schalter. Jill wollte die Adressen- und Fahrzielliste des Geräts durchsuchen, aber sie war leer.
Jill stutzte. William hatte immer schon eine Vorliebe für technische Spielereien gehabt. Es schien ihr unwahrscheinlich, dass er nie das GPS -System benutzt haben sollte, obwohl der Tacho 30.393 gefahrene Meilen anzeigte.
Sicherlich konnte man alle Eingaben des Navi löschen, und William musste gewusst haben, wie. Aber aus welchem Grund hatte er die Eingaben gelöscht? Jill hatte nicht die geringste Idee. Sie atmete tief durch, und wieder stieg ihr der Gestank des Kunststoffreinigers in die Nase. Und der Geruch nach Parfum. Vielleicht eine letzte Hinterlassenschaft der ominösen Freundin?
Jill kletterte auf den Beifahrersitz und wurde in dessen Seitentasche fündig. Sie förderte einen Lippenstift, eine Wimpernzange, eine Tube Handcreme und ein weißes Kosmetiktäschchen aus Plastik zutage. In dem Täschchen fand sie zwei Quittungen. Eine stammte aus einem Kosmetikgeschäft und war über einen Betrag von 136,98 Dollar ausgestellt. Die andere war eine Visa-Kreditkartenabrechnung mit einer anmutigen Unterschrift: Nina D’Orive.
40
Jill stieg vor der Penn Station aus dem Taxi und sah sich um. Sofort fielen ihr drei schwarze SUV s ins Auge, und sie wurde nervös. Doch noch nervöser machte sie die Tatsache, dass sie bei ihrer Suche nach Abby keinen Schritt weitergekommen war.
Sie hastete zum Ticketschalter, aber die Warteschlange war so lang, dass sie zum Automaten ging. Alle Passanten hier im Bahnhof kamen ihr mit einem Mal verdächtig vor. Da war der korpulente Mann, dessen Nähte an seiner Anzugjacke aufgerissen waren, der müde Hipster mit übergroßer dunkler Sonnenbrille und Gitarrenkasten und die junge Frau, die einen für den Tag viel zu dicken Pullover trug und ihr auf Schritt und Tritt zu folgen schien.
Jill verdächtigte sie alle. Aber vielleicht wurde sie ja auch von mehreren verfolgt? Wahrscheinlich hatte sich ein ganzes Team von skrupellosen Gestalten an ihre Fersen geheftet, wie sonst hätte der schwarze SUV sie vor Williams Wohnhaus in Empfang nehmen können? Der Automat druckte ihren Fahrschein aus, und plötzlich teilte sich die Menschenmenge hinter ihr wie ein Schwarm tropischer Fische in verschiedene Richtungen.
»Der Schnellzug nach Washington D. C. über Newark, Princeton, North Philadelphia und Philadelphia steht zum Einsteigen bereit«, verkündete der Lautsprecher.
Jill reihte sich in die Schlange ein, um dem Kontrolleur ihren Fahrschein vorzuzeigen. Mit dem Fahrstuhl ging es dann hinunter zu den Gleisen, eine ältere Dame stand direkt neben ihr. Hastig bestieg sie den Zug und setzte sich auf den erstbesten freien Platz neben eine andere ältere Dame, die sofort ihr Strickzeug auspackte.
Jill sah aus dem Fenster. Der Zug wartete noch, auf dem Bahnsteig hasteten die Reisenden wie dunkle Schatten hin und her. Sie schloss die Augen und fühlte sich ausgelaugt. Die Angst und ihre Besorgnis hatten sie müde gemacht. Abbys Gesicht tauchte vor ihr auf. Hoffentlich hatte sie sich bei ihr oder Victoria gemeldet. Vielleicht war sie ja sogar nach Hause gekommen?
Jill hielt die Augen geschlossen, als der Zug anruckte und aus dem Bahnhof fuhr. Zu schlafen traute sie sich nicht, dazu fühlte sie sich zu unsicher, auch wenn das Rattern und Schaukeln des Zuges dazu einlud. Also öffnete sie die Augen wieder. Ihre rechte Wange ruhte schon in der rechten Hand. Das Geplapper und der Lärm der anderen Fahrgäste wurden allmählich leiser und verschwammen ineinander. Jill sah Abby als kleines Mädchen vor sich, das sie angrinste. Abby verwandelte sich in Megan, Megan in Rahul, und alle drei verschmolzen zu einem einzigen Kind, das glücklich und gesund war und weder Krankheit noch den Tod fürchten musste, weil es sich in Jills Armen sicher fühlen konnte. Eine Minute später war Jill eingeschlafen.
41
Beef jagte vor Begeisterung bellend die Treppe hinunter, um sie zu begrüßen. Sam war auch zu Hause, sein Wagen stand in der Einfahrt. »Ich bin wieder da!«, rief sie erwartungsvoll die Treppe hinauf.
»Ich bin oben!« rief er zurück.
»Ich komme gleich«, antwortete Jill erleichtert. Sie redeten also noch miteinander. Handtasche und Schlüssel legte sie ab, dann ging sie in die Küche, um die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter abzurufen.
Keine
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