Die zweite Todsuende
ihn in seinem Atelier in der Mott Street besucht?»
«Keine Ahnung.»
«Er hat nie von einem solchen Besuch erzählt?»
«Nein, niemals. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?»
Delaney fragte: «Hat Ihr Mann jemals zum Lebensunterhalt seiner Mutter und Schwester beigetragen? Soweit Sie wissen?»
Sie lachte verächtlich auf. «Das bezweifle ich stark. Mein Mann hat selten Geld ausgegeben, wenn das nicht seinem eigenen Vergnügen diente.»
«Belle Sarazen hielt ihn für einen sehr großzügigen Mann.»
«Das kann ich mir denken», erklärte Alma Maitland erbost. «Während ich geknausert und gespart habe, um auszukommen.»
Delaney blickte sich im Zimmer um.
«Das hier zeugt nicht gerade von Armut», bemerkte er nachsichtig. «Mrs. Maitland, sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie und Ihr Sohn die Alleinerben Ihres Mannes sind, falls sonst niemand Ansprüche stellt?»
«Erben! Wovon wohl? Die Wohnung können wir bei den heutigen Preisen nicht einmal mehr für das verkaufen, was wir ursprünglich dafür bezahlt haben. Auf der Bank ist kaum genügend Geld, alle Schulden zu bezahlen.»
«Die unverkauften Bilder …» murmelte Boone.
«Ach ja», sagte sie, und in ihrer Stimme klang so etwas wie Verzweiflung. «Wieviel bleibt wohl übrig, wenn Saul Geltman seine Kommission und die Steuer ihren Teil bekommen haben? Ich kann Ihnen versichern, mein Mann hat mich nicht als wohlhabende Witwe zurückgelassen. Weit gefehlt!»
Delaney sah sie eindringlich an.
«Sie besitzen selbst Vermögen?»
«Einiges», gab sie widerstrebend zu. «Das geht Sie zwar nichts an, aber ich vermute, Sie können es leicht herausbekommen, falls Sie es nicht ohnehin schon wissen. Mein Vater hat mir städtische Anleihen überlassen. Der war sich seiner Verantwortung jedenfalls bewußt.»
«Wie hoch ist Ihr Einkommen daraus?» fragte Delaney. «Wie Sie ganz richtig gesagt haben, wir können das jederzeit herausfinden.»
«Ungefähr zwanzigtausend im Jahr.»
«Wußte Ihr Mann von diesem Einkommen?»
«Selbstverständlich wußte er davon.» Sie seufzte. «Vor zwanzig Jahren war das noch ein Vermögen. Heute ist es gar nichts mehr.»
«Ein bißchen mehr als gar nichts denn wohl doch», versetzte Delaney trocken. «Aber darüber möchte ich nicht streiten. Mrs. Maitland, ich habe die drei Skizzen mitgebracht, die wir im Atelier Ihres Mannes gefunden haben. Ich weiß, Sie haben mir gesagt, Sie kennen keines seiner Modelle aus der letzten Zeit, aber es wäre mir lieb, wenn Sie sich diese Blätter einmal ansähen. Mag sein, Sie können das Mädchen doch identifizieren. Ich gebe zu, das Gesicht ist kaum angedeutet, aber womöglich reicht es.»
Er stand auf, entrollte unter Sergeant Boones Mithilfe die Skizzen und hielt sie so, daß Alma Maitland sie betrachten konnte.
«Sie sind sehr gut», sagte die Frau leise.
«Nicht wahr? Erkennen Sie das Mädchen?»
«Nein. Ich kenne weder sie noch irgend jemand, der ihr ähnlich sieht. Wann kann ich die haben? Sie gehören schließlich zum Nachlaß.»
«Dessen bin ich mir durchaus bewußt, Madam. Sie werden Ihnen zurückgegeben, sobald die Ermittlungen abgeschlossen sind.»
«Und wann wird das sein?» wollte sie wissen.
Er gab ihr keine Antwort, sondern rollte die Zeichnungen zusammen und streifte das Gummiband darüber. Er gab Boone ein Zeichen. Sie gingen gemeinsam zur Tür. Doch der Chief machte noch einmal kehrt.
«Mrs. Maitland», sagte er, «noch eines … Finden Sie es nicht merkwürdig, daß die einzigen Arbeiten, die wir im Atelier Ihres Mannes gefunden haben, diese drei Zeichnungen sind?»
«Merkwürdig?» wiederholte sie verwirrt. «Wieso merkwürdig?»
«Sie haben uns erzählt, Sie hätten als Modell gearbeitet; infolgedessen müssen Sie in den Ateliers vieler Künstler gewesen sein. Die meisten Maler haben für gewöhnlich einen Haufen Bilder in ihren Ateliers herumstehen. Unverkaufte Bilder. Halb fertige. Alte Sachen oder welche, die sie nicht verkaufen wollen. Im Atelier Ihres Mannes wurden aber nur diese drei Skizzen gefunden. Kommt Ihnen das nicht sonderbar vor?»
«Nein, überhaupt nicht. Mein Mann war als Künstler außerordentlich erfolgreich. Seit er berühmt ist, hat er alles verkauft, was er malte. Er war kein bißchen sentimental; er bewahrte nichts auf, was ihn an seine Anfänge erinnerte. Und sein Stil hat sich nur sehr wenig gewandelt; seine frühen Sachen waren genausogut wie seine späten. Sobald er mit einem neuen Bild fertig war, wurde es zum Verkauf zu Saul
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