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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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sich mit äußerster Vorsicht, wie in einem Zeitlupenfilm.
    Als erstes untersuchten sie die Innenseite der Tür. Dort war ein Knauf angebracht, und nachdem Boone sich überzeugt hatte, daß der Schnapper sich damit bewegen ließ, zog er die Dietriche heraus und schob sie wieder in sein Besteck. Delaney nahm Schraubenzieher und Zange vom Scharnier und schloß die Tür leise hinter sich. Sie waren drinnen.
    «Was wir machen ist Einbruch», sagte der Chief.
    «Die Tür schließt dicht», sagte Boone. «Haben Sie was dagegen, wenn ich den Scheinwerfer anknipse?»
    «Nichts. Hier ist er.»
    Er wickelte ihn aus und stopfte den schwarzen Stoff zurück in den Leinenbeutel. Dann richtete er sich auf, hielt den Scheinwerfer hüfthoch und knipste ihn an. Ein mächtiger Strahl schoß geradeaus ins Dunkel, so grell, daß sie die Lider zusammenkneifen mußten. Gleich darauf weiteten sie sie wieder. Und nun sahen sie alles.
    Das Innere der alten Scheune war isoliert, rohe Holzregale reichten fast bis zum Dach hinauf. Eine stabile Leiter lehnte an einer Wand. In der Ecke war eine große Klimaanlage angebracht. Ein hölzerner Küchentisch stand im Raum, davor ein einzelner Holzstuhl. Sonst nichts. Bis auf die Bilder.
    Sie standen überall. Auf den Regalen. Auf dem Boden, gegen die Wand gelehnt. Nicht stapelweise, Leinwand gegen Leinwand, sondern einzeln, nebeneinander, um zu trocknen und zu schimmern. Im Lichtstrahl des Scheinwerfers starrten brennende Gesichter sie an, flammten Augen auf, verzogen Münder sich spöttisch.
    Wie versteinert standen Delaney und Boone da, überwältigt von dem flüssigen Feuer der Farben, das sich über sie ergoß. Sie empfanden fast Scham, als wären sie unerlaubt in eine Kirche eingedrungen, hätten ein Heiligtum geschändet. Zwar waren auch ein paar Stilleben darunter, etliche Landschaften und einige Porträts, aber überwiegend waren es Akte, kraft- und lebenstrotzende Maitland-Akte, atemberaubend in ihrer Vitalität, ihren prachtvollen Creme- und Scharlachtönen. Violette Schatten. Schampartien, intimste Körperteile. Arme, die umfingen, fordernd zupackende Beine.
    «Himmelherrgott!» flüsterte Boone.
    Sie starrten, starrten und starrten. Der Chief ließ den Strahl des Scheinwerfers langsam von einer Seite der Scheune zur andern wandern. In der sich verändernden Beleuchtung, mal im Hellen, mal im Dämmer, sahen sie schwellende Leiber beben, sich sehnsüchtig regen. Sie ertranken förmlich in einem Meer aus Frauenfleisch. Gliedmaßen lösten sich zuckend von der Leinwand, sie zu umarmen, Köpfe drohten sie mit dampfendem Atem und flammenden Haaren zu ersticken.
    Delaney knipste den Scheinwerfer aus, und sie hörten ihre schnaufenden Atemzüge.
    «Zuviel», sagte er in die Dunkelheit. «Alles auf einem Haufen. Zu stark. Das kann keiner verkraften.»
    «Was schätzen Sie?» fragte Boone mit belegter Stimme. «Ob es wohl zweihundert sind?»
    «Sagen wir zweihundert», stimmte Delaney zu, «und mindestens hunderttausend für ein Bild.»
    «Das macht zwanzig Millionen! In einer Holzscheune! Ich kann es nicht glauben. Klemmen wir uns zehn oder so unter den Arm, Chief, und hauen damit ab nach Rio.»
    «Glauben Sie ja nicht, ich hätte daran nicht auch schon gedacht», erwiderte Delaney. «Aber ich könnte es niemals über mich bringen, sie zu verhökern. Sehen wir sie uns noch mal an! Nehmen Sie diesmal die Taschenlampe.»
    Das schwächere Licht war eine Erleichterung; Benommenheit und Schock ließen nach. Sie traten an das zunächststehende Bild, der Akt einer dunkelhaarigen Frau: muskulöser Leib, Oberkörper seitlich nach vorn gedreht, Hüfte verschoben, Arme und Beine geschmeidig wie Schlangen, ein verruchtes, lockendes Lächeln. Boone ließ den Lichtkreis in die untere rechte Ecke wandern. Sie sahen die Signatur, fein säuberlich wie die eines Buchhalters: Victor Maitland. Dahinter das Datum: 1958.
    «Dieser Halunke!» zischte Delaney. «Noch mal, ein anderes.»
    Sie gingen von Bild zu Bild. Alle waren datiert: 1957, 1958, 1959, einige wenige 1960. Ein jüngeres Datum trug keines.
    «Toll», staunte Boone. «Nicht nur ein gefälschtes Werkverzeichnis in Geltmans Safe, sondern auch noch ein gefälschtes Datum direkt auf den Bildern. Das Finanzamt wird sich schwer tun mit dem Beweis, daß sie erst vor einem Jahr entstanden sind.»
    «Die haben wirklich an alles gedacht!» sagte Delaney bewundernd. «Dahinter steckt J. Julian Simon. Der muß einfach dahinterstecken. Das riecht doch förmlich nach einem

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