Die zweite Todsuende
Zweige knackten, daß sie gegen Äste stießen. Sie kamen nur langsam voran, knipsten immer wieder das Licht aus, blieben stehen und lauschten. Sie schlugen einen weiten Bogen, um die Scheune zwischen sich und dem Haus zu halten. Die Nacht war schwül, doch wehte eine Brise kühl vom Fluß herauf. Die Gerüche, die ihnen in die Nase stiegen, waren ihnen nicht vertraut: frisch umgegrabene Erde, flüchtig die scharfe Ausdünstung eines Tieres, der Gestank von verrottenden Pflanzen und gelegentlich der süße Duft von Blumen. Einmal hörten sei ein kleines Tier aufspringen und davonjagen. Es war ihnen unheimlich zumute.
Sie gelangten an die Längsseite der Scheune. Boone richtete die Taschenlampe kurz beiseite, um Delaney die mit Steinbrocken eingefaßte Sickergrube zu zeigen, wo der Filter der Klimaanlage verborgen war. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Sie warteten, bis Wolken den Mond vollends verdunkelten, bevor sie um die Ecke schlüpften. Der Sergeant betrat den Schuppen, dicht hinter ihm der Chief, eine Hand auf Boones Schulter.
Leise zogen sie die Außentür hinter sich zu, ließen den dünnen Strahl ihrer Taschenlampe rasch durch den Schuppen kreisen und machten sich dann an die Arbeit. Sie nahmen die Persenning von der Wand und hängten sie über die schlecht schließende Außentür, so daß kein Licht durch die Ritzen nach draußen drang. Dann nahmen sie sich die verborgene Tür vor.
Boone fand die Tube mit flüssigem Graphit, spritzte etwas davon in das Schlüsselloch und wählte zwei Dietriche aus dem Satz Nachschlüssel in seiner Hüfttasche. Zwei lange Nadeln, die eine spitz zulaufend, die andere spateiförmig abgeflacht.
Den spitz zulaufenden Dietrich führte er ins Schlüsselloch ein, tastete vorsichtig damit herum und starrte derweil nach oben ins Dunkel. («Hat gar keinen Zweck, das Schloß anzusehen», hatte Sammy Delgado ihm eingeschärft. «Das stört bloß. Gefühl ist alles.») Abner Boone spürte nichts und fühlte nichts. Behutsam suchte er herum, tastete nach einem Sperrstift, der sich bewegen ließ. Aber der Dietrich rutschte in seiner schweißnassen Hand. Er ließ ihn los, bückte sich und rieb Finger und Handflächen an den schmutzigen Dielenbrettern trocken. Dann tastete er weiter, blinkerte nervös ins Leere. Zuletzt schüttelte er ratlos den Kopf. Delaney hielt den Mund näher an Boones Ohr.
«Soll ich's mal versuchen?» flüsterte er.
«Noch nicht. Lassen Sie mich einen Augenblick ausruhen und das Zittern loswerden. Dann versuch ich's mit dem Haken.»
Da standen sie in der Schwärze, atmeten tief und ruhig durch. Die Hitze des Tages und die Muffigkeit von Jahren standen im Raum. Beklemmend legte er sich auf Lungen und Augen. Sie rochen einer den anderen.
«Also, auf ein neues», sagte Boone leise. «Ich brauche einen Moment Licht.»
Delaney richtete den Strahl der Taschenlampe auf Boones Hände, die mit den Dietrichen beschäftigt waren. Er tat den spitzen zurück und wählte einen mit einem winzigen Haken am Ende. Dann nahmen beide Männer ihre vorherige Haltung wieder ein.. Boone tastete jetzt mit dem Minihaken und runzelte in der Dunkelheit die Stirn. Er spürte, wie der Dietrich griff.
«Einen hab ich», hauchte er.
Jetzt führte er neben dem Häkchen auch noch den abgeplatteten Dietrich in das Schlüsselloch ein; das spateiförmige Ende stieß weiter vor, während der Haken den vordersten Sperrstift hochdrückte. Es dauerte fast eine halbe Stunde, und dreimal legten sie eine Pause ein und lauschten. Doch zuletzt glitt der Spateldietrich mühelos hinein, und sie hörten beide das erlösende «Klick». Langsam drehte Boone die Handgelenke, bis beide Ellbogen nach oben wiesen, und Delaney drückte mit einem Knie sanft, aber fest gegen die Tür. Das endgültige «Klick», mit dem der Schnapper zurücksprang, war lauter als das zuvor. Sie hielten inne. Schweiß rann ihnen übers Gesicht. Sie lauschten nochmals. Dann schob Delaney die Tür auf.
Das Licht wurde ausgeknipst. Minutenlang saßen beide auf dem Boden. Delaney hielt die Hand auf der Schwelle, um zu verhindern, daß die Tür zufiel. Sie spürten einen Hauch kühler Luft, der sie aus dem Innern anwehte.
«Los», sagte Boone.
Sie standen auf, nahmen die Leinenbeutel vom Boden, und der Sergeant stieß die Tür langsam ganz auf.
«Warten Sie», sagte Delaney.
Er legte einen umwickelten Schraubenzieher und eine Zange von innen so über das untere Scharnier, daß die Tür nicht zufallen konnte.
Beide Männer bewegten
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