Die zweite Todsuende
übergebraten kriegt und damit wär's aus. Einer, aus dem man nicht ohne weiteres schlau wird. Ich vermute, er war ungeheuer talentiert, aber als Mensch ziemlich mies.»
«Mies?» Delaney griff diesen Ausdruck auf. «Meinen Sie, ihm war mies zumute, traurig also oder vielmehr mies in dem Sinne, daß er eigentlich nicht verdiente, ein Mensch genannt zu werden?»
Boone überlegte eine Weile.
«Beides, möchte ich sagen», erklärte er schließlich. «Ein außerordentlich komplizierter Bursche. Ehe ich strafversetzt wurde, habe ich ein Buch mit seinen Bildern gekauft und bin in die Galerie Geltman und in die Museen gegangen. Ich dachte, wenn ich Zugang zu Maitland fände, würde mir das vielleicht helfen, den Kerl aufzuspüren, der ihn abgestochen hat, und dessen Motiv zu begreifen.»
Erstaunt und voller Bewunderung schaute Delaney ihn an.
«Gute Idee», sagte er. «Und hat Ihnen das geholfen?»
«Nein, Sir. Kein bißchen. Vielleicht lag's an mir. Ich verstehe nicht viel von Malerei.»
«Haben Sie das Buch noch? Das mit Maitlands Bildern?»
«Klar. Das muß noch irgendwo liegen.»
«Darf ich es mir ausleihen?»
«Selbstverständlich.»
«Vielen Dank. Morgen ist Freitag. Laut Autopsiebericht wurde er an einem Freitag umgebracht, zwischen zehn Uhr morgens und drei Uhr nachmittags. Könnten Sie mich morgen gegen neun abholen? Ich möchte runter in die Mott Street in sein Atelier und mich dort ein bißchen umsehen. Und auch in der Gegend. Wir werden von zehn bis drei dort sein, während der Tatzeit.»
Eindringlich sah Abner Boone ihn an.
«Haben Sie einen bestimmten Verdacht, Chief?» fragte er.
Delaney schüttelte den Kopf.
«Nicht den Schimmer einer Ahnung», sagte er. «Ich will einfach mal reinriechen. Irgendwo müssen wir schließlich anfangen.»
Er sah, wie die Miene des Sergeant sich aufhellte, wie er sich straffte, als Delaney ‹wir› sagte.
Beide standen auf. Dann zögerte Boone.
«Chief, hat man Ihnen aus dem Büro des Leichenbeschauers die Liste der persönlichen Dinge geschickt, die Maitland bei sich getragen hat?»
«Ja, die habe ich.»
«Ist Ihnen da was Ungewöhnliches aufgefallen?»
«Nein», sagte Delaney gedehnt. «Sollte mir was entgangen sein?»
«Nichts, was draufgestanden hat», sagte Boone. «Vielmehr etwas, was fehlte.» Unversehens schoß ihm die Röte ins Gesicht. Die Sommersprossen verschwanden. «Der Kerl trug keine Unterwäsche.»
Verwundert blickte Delaney ihn an.
«Sind Sie Ihrer Sache ganz sicher?»
Boone nickte. «Ich hab das nachgeprüft, bei den Leuten, die die Leiche im Leichenhaus auszogen. Keine Unterwäsche.»
«Sonderbar. Was halten Sie davon?»
«Nichts», sagte Boone. «Ich war in Behandlung bei einem Polizeipsychologen - ich nehme an, Thorsen hat Ihnen das erzählt -und habe den so ganz nebenbei gefragt, was es zu bedeuten hat, wenn einer keine Unterwäsche trägt. Er hat mir die übliche Antwort gegeben, mit der man nichts, aber auch gar nichts anfangen kann; es könnte schon von Bedeutung sein, muß aber nicht.»
Delaney nickte und sagte: «Das ist ja gerade das Schlimme. In einem Fall wie diesem ist man versucht, allen Fakten den gleichen Wert beizumessen. Auszusortieren, welche bedeutungslos sind, erfordert nun mal genauso viel Zeit, wie auf die zu kommen, die von Bedeutung sind. Nun, wir haben ja viel Zeit. Offenbar erwartet man keinen Durchbruch von uns. Wir sehen uns morgen früh, Sergeant.»
Boone nickte, und sie schüttelten einander nochmals die Hand. Der Sergeant schien ein wenig besser gestimmt und weniger niedergeschlagen. Er hinterließ Adresse und Telefonnummer. Delaney brachte ihn an die Haustür und legte die Kette vor.
Monica lag reglos im Bett, bewegte sich jedoch, als er anfing, sich auszuziehen.
«Nun?» fragte sie.
«Geschieden», berichtete er.
«Wie schön», sagte sie verschlafen. «Da werde ich gleich morgen früh Rebecca anrufen.»
4
Sie parkten den Wagen in der Houston Street und stiegen aus.
«Wollen Sie nicht das Schild ‹Polizeibeamter im Dienst› aufstellen?» fragte Delaney.
«Ich glaube, besser nicht, Chief», sagte Abner Boone. «Das letzte Mal, als ich es aufstellte, haben sie mir die Radkappen geklaut.»
Delaney lächelte und schaute sich um. Er erzählte Boone, daß er vor zwanzig Jahren in diesem Revier Streife gegangen war.
«Damals wohnten hier nur Italiener», sagte er. «Aber ich vermute, das hat sich geändert.»
Boone nickte. «Ein paar Schwarze und viele Puertorikaner. Vor allem aber
Weitere Kostenlose Bücher