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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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anderen in der Straße unterschied. Neun graue Steinstufen führten zur Haustür hinauf. Die staubigen Fenster der beiden Wohnungen im Parterre waren mit rostigen Eisengittern bewehrt.
    «Den Grundriß kenne ich», sagte Delaney. «Obwohl er nicht bei den Unterlagen ist. Ich habe Hunderte von Apartmenthäusern wie dieses gesehen. Zwei Wohnungen in jedem Stock. Langer Korridor, der von vorn bis hinten durchgeht. Die Wohnung des Hausmeisters im Souterrain. Er kann durch die Tür im Gang unter der Treppe rein, doch für gewöhnlich hält er die verschlossen und benutzt den Hintereingang. Neben seiner Wohnung steht da unten noch der Boiler, dann gibt es einen Heizungskeller, Sicherungskästen und so weiter. Einen Abstellraum. Die Hintertür geht auf einen kleinen, gepflasterten Hof hinaus. Maitlands Atelier im fünften Stock ist ein großer Raum, der das ganze Stockwerk einnimmt. Spülstein und Badewanne, das Klo jedoch auf dem Treppenabsatz. Stimmt alles?»

    «Alles, Sir», sagte Boone voller Bewunderung. «Die Tür im Keller, die nach hinten rausgeht, ist immer abgeschlossen. Sie ist mit einer Eisenstange, einer Kette und einem Vorhängeschloß gesichert. Da ist unser Mann jedenfalls nicht reingekommen. Der Hausmeister sagt, das hätte er bestimmt gehört. Hat aber nicht.»
    «Gehen wir rein», sagte Delaney.
    Sie stiegen die Treppe hinauf. Die Haustür war nicht nur unversperrt, sondern nicht einmal ins Schloß gefallen; sie stand ein paar Zentimeter offen und pendelte hin und her. Delaney blieb stehen, um sich die Namen an den Briefkästen anzusehen.
    «Meistens Italiener», bemerkte er. «Ein spanischer Name, ein chinesischer und ein ‹Smith›, ein Allerweltsname; könnte alles mögliche sein.»

    Die Innentür war gleichfalls unverschlossen, der Türgriff fehlte.
    «Den wollte der Hausmeister ersetzen», sagte Boone.
    «Vielleicht hat er das sogar getan», bemerkte Delaney milde. «Nur hat jemand den neuen schon wieder geklaut.»
    Zwei kurze Treppen führten jeweils von einem Stockwerk zum nächsten. Langsam stiegen sie hinauf. Sie befanden sich auf dem Treppenabsatz des dritten Stocks, als eine Tür so weit aufgerissen wurde, wie die Vorhängekette es gestattete, und eine wütende Frau ihr Gesicht hindurchsteckte. Sie hatte ihr brandrotes Haar auf extrem dicke Lockenwickler gedreht und trug einen grotesk bedruckten Morgenrock, den sie an ihrem faltigen Hals zusammenhielt.
    «Ich hab euch rumschnüffeln sehen», geiferte sie. «Was wollt'n ihr? Ich ruf die Polizei.»
    «Wir sind von der Polizei, Ma'm», sagte Boone sanft und zeigte ihr seine Dienstmarke. «Kein Grund zur Aufregung. Wir wollen uns bloß oben noch mal umsehen.»
    «Habt ihr den Kerl immer noch nicht?» fragte die Frau.
    «Noch nicht, nein.»
    «Scheiße!» rief die Frau verächtlich und schlug die Tür zu. Man hörte, wie mehrere Schlüssel umgedreht wurden. Delaney und Boone setzten ihren Aufstieg fort.
    «Wo die wohl war, als wir sie gebraucht hätten?» knurrte Delaney.
    Auf dem obersten Treppenabsatz blieben beide schwer atmend stehen. Delaney warf einen Blick in das WC. Nichts als eine schmutzige Toilette: der Wasserkasten hoch oben unter der Decke, zum Ziehen ein Holzgriff, der an einer grünspanigen Messingkette hing. Die Toilette hatte nur ein kleines Fenster, das Milchglas war gesprungen.
    «Keine Heizung», bemerkte Delaney. «Im Winter könnte man hier eine Verstopfung direkt genießen.»
    Verdattert von dem Scherz seines Chiefs blickte Boone ihn an. Dann gingen sie bis zur Tür von Victor Maitlands Atelier. Ein blitzblanker neuer Riegel samt Vorhängeschloß war unterdessen angebracht worden. Außerdem ein Zettel: VERSIEGELT VON DER FINANZBEHÖRDE. Und in kleinerem Druck darunter wurde aufgezählt, was einem Eindringling alles blühen konnte: Gefängnis, Geldstrafe oder beides.
    «Ach, verdammt», sagte Boone. «Was hat denn das zu bedeuten?»
    «Er hat kein Testament hinterlassen», klärte Delaney ihn auf. «Folglich sorgt das Finanzamt dafür, daß es die ihm zustehende Scheibe vom Kuchen auch wirklich bekommt. Außerdem hatte er Steuerschulden und zankte sich jahrelang mit den Finanzbehörden. Hm … was machen wir jetzt?»
    Boone sah sich um.
    «Ich hab 'n Satz Dietriche dabei», murmelte er. «Einverstanden?»
    Delaney starrte ihn an.
    «Sergeant», sagte er, «Sie gefallen mir von Minute zu Minute besser. Selbstverständlich bin ich einverstanden.»
    Abner Boone holte aus der Innentasche seiner Jacke ein flaches schwarzes

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