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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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stand das Modell, wenn Maitland malte oder Skizzen machte.»
    Delaney ging um das Durcheinander auf dem Boden herum, blieb stehen und blickte hinunter.
    «Bei den meisten Sachen hier kann ich mir schon denken, wozu das alles dient. Aber Säge, Hammer und Nägel? Und das Ding da, die Klaue, was ist das?»
    «Geltman sagt, Maitland habe seine Leinwände immer selbst aufgezogen und gespannt. Die Leinwand hat er rollenweise gekauft. Dann hat er sich einen Holzrahmen gezimmert, die Leinwand darüber gezogen und sie mit Reißzwecken befestigt. Mit der Klaue hat er sie dann gespannt. Die kleinen Holzdinger an der Innenseite des Rahmens dienen zum Verkeilen und sorgen dafür, daß die Leinwand straff bleibt.»
    «Und was ist das für schwarzes Zeug an der Wand? Die schwarzen Krümel?»
    «Zeichenkohle. Der Agent hat uns geholfen, all dies hier zu identifizieren. Wie es scheint, benutzte Maitland zum Skizzieren Holzkohle. Die meisten Maler benutzen Bleistifte.»
    «Und wozu all die vielen kleinen Stücke?»
    «Holzkohle bricht leicht. Aber da ist ein Fleck an der Wand, da oben, rechts von Ihnen. Es sieht so aus, als ob Maitland den Stift an die Wand gepfeffert hätte. Geltman sagt, so was hat er manchmal getan.»
    «Warum?»
    «Das wußte er nicht; es sei denn, Maitland kam mit der Arbeit nicht genug voran und wurde sauer.»
    Delaney hob die beiden Skizzen mit den Fingerspitzen vom Boden auf. Dann trat er näher ans Fenster, um sie zu betrachten.
    «Es gibt noch eine dritte Skizze, auf dem Block, der da auf der Kiste liegt», sagte Boone. «Halb fertig. Und daneben liegt noch ein halber Kohlestift. Geltman meinte, es sähe so aus, als ob Maitland bei der dritten Skizze die Kohle zerbrach und er das Ende, das er in der Hand hielt, gegen die Wand geworfen hätte.»
    Delaney ging nicht darauf ein. Betroffen schaute er die Skizzen an. Maitland hatte mit harten, kühnen Kohlestrichen einen dreidimensionalen Torso auf zweidimensionales Papier übertragen. Nichts von konventioneller Schattierung; die Linienführung selbst deutete die Modellierung des Fleisches an. Nur an zwei Stellen hatte er flüchtig mit Daumen oder Finger drüberhingeschmiert, um eine Mulde und einen Schatten anzudeuten.
    Es handelte sich um den Körper eines jungen Mädchens, saftig und strotzend, das kam unmißverständlich zum Ausdruck. Sie stand in unnatürlicher Pose da, die Muskeln verkrampft, die Brüste herausgedrückt. Maitland hatte den Rückenschwung, die Hüftschwellung und das Weiche von Schulter- und Armwölbung meisterhaft getroffen. Das Profil des Gesichts war kaum angedeutet, es wirkte unbestimmt orientalisch. Doch der Körper sprang von den Knien aufwärts förmlich heraus aus dem weißen Papier. Die schwarzen Linien schienen zu leben, zu zucken. Kein Zweifel, daß hier ein Herz pumpte, geatmet wurde, Blut pulsierte.

    «Herrgott!» entfuhr es Delaney leise. «Egal, wie mies der Bursche gewesen ist, er dürfte nicht tot sein.» Dann, lauter, fragte er: «Konnte der Agent sagen, wann die Skizzen entstanden sind?»

    «Nein, Sir. Möglicherweise am Vormittag. Vielleicht aber auch schon vor einer Woche. Er hatte sie nie zuvor gesehen.»
    «Kannte er das Modell?»
    «Er behauptet, nein. Die Skizzen hält er für die Vorbereitung einer größeren Arbeit. Versuche, wenn er ein neues Modell ausprobierte, um zu sehen, ob er festhalten konnte, was ihm vorschwebte. Angeblich schmiß er so was später weg.»
    «Was! Diese hier aber nicht. Die nehme ich mit. Ich werde sie später den Erben aushändigen. Irgendwann. Wo ist die dritte?»
    «Hier. Noch auf der Kiste.»
    Delaney betrachtete das Stilleben auf der rohen Kiste: ein gegen die Terpentinkanne gelehnter Skizzenblock, die Hälfte von einem Stück Zeichenkohle, die Whiskeyflasche. Sein Blick wanderte vom Whiskey zum Ateliereingang und wieder zurück. Dann löste er die dritte Zeichnung vom Block und blätterte die noch verbleibenden Blätter durch, um sicherzugehen, daß nichts mehr darin sei. Der Block war leer. Sorgfältig rollte er die drei Skizzen zusammen.
    «Mehr fällt mir nicht ein», sagte er. «Ihnen?»
    «Nein, Chief. Ein Adressenbuch war nicht da. Überhaupt keine Bücher. Nur alte Zeitungen unterm Ausguß und ein paar Kataloge für Malerbedarf. Neben dem Telefon stehen einige Nummern an der Wand. Die haben wir überprüft. Ein Schnapsladen in der Nachbarschaft, der frei Haus liefert. Ein Feinkostladen drüben am Lafayette Square. Die Nummer eines Malerfreundes namens Jake Dukker. Der ist

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