Die zweite Todsuende
sechstausend Silbertabletts besessen haben.»
Sie ließ sich im Lotussitz auf den Boden nieder und nippte an ihrem Champagnerglas, aus dem sie während des Niedersitzens keinen Tropfen verschüttet hatte.
«Joga», sagte sie. «Haben Sie das jemals ausprobiert?»
«Ich nicht», sagte Delaney. «Sie, Sergeant?»
«Nein, Sir.»
«Hält das Rückgrat elastisch», sagte sie. «Und kräftigt das Becken. Das kommt dem Beischlaf zustatten.» Sie zwinkerte ihnen zu.
Jetzt konnte Delaney ihr dreieckiges Gesicht genau begutachten. Hochangesetzte Jochbeine - Indianerblut? -, straffe Haut, geschlitzte, weit auseinanderstehende Augen. Offene, erstaunte Augen. Dünne, mittels Schminke ein wenig über die Kontur hinaus erweiterte Lippen, was den Eindruck erweckte, sie seien sanft geschwungen und voll. Hartes Kinn. Kleine, freiliegende Ohren. Schmale Nase, patrizierhaft, mit ovalen Nüstern. Nicht die geringste Falte, kein besonderes Merkmal, keine Unvollkommenheit. Sie spürte, daß Delaney sie anstarrte.
«Ich arbeite aber auch daran», erklärte sie lakonisch.
«Und zwar mit Erfolg», versicherte er ihr und meinte es aufrichtig.
«Sie möchten über Victor Maitland reden?» fragte sie. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. «Immer mal wieder?»
«Nicht eigentlich», sagte Delaney. «Ich würde gern etwas über Jake Dukker hören. Was halten Sie persönlich von ihm?»
Es erfüllte ihn mit einer gewissen Genugtuung, als er sie überrascht zusammenfahren sah. Er hatte sie aus der Fassung gebracht.
«Jake Dukker», wiederholte sie. «Nun, Jake ist Maler.»
«Das wissen wir.»
«Sehr geschickt, ein Könner. Die Polizei kann von Glück reden, saß er kein Falschmünzer geworden ist. Jake kann jeden Stil nachmalen. Rembrandt, Picasso, Andy Warhol… wen Sie wollen.»
«Könnte er auch Victor Maitland nachmachen?»
«Natürlich könnte er das. Wenn er wollte. Aber warum sollte er? Jakes eigene Sachen gehen sehr gut.»
«Und was macht er?»
«Alles, was sich verkauft. Oberflächliches Zeugs. Das jeweils Modernste. Gibt es was Neues, womit sich Geld machen läßt, stürzt Jake sich darauf: auf Abstrakte, Kalligraphie, Pop-Art, Op-Art, Fotorealismus, er hat sich an allem versucht. Wissen Sie, womit er sich gerade jetzt beschäftigt? Darauf kommen Sie nie. Er malt einen Akt von mir auf Alufolie! Lassen Sie sich das zeigen. Phan-ta-stisch! Er ist zwar noch nicht fertig, aber schon verkauft.»
«Wer hat ihn gekauft?» erkundigte Sergeant Boone sich rasch.
«Ein Freund von mir», sagte sie und nahm einen Schluck Sekt mit Orangensaft. «Eine sehr prominente Persönlichkeit.»
«Stehen Sie häufig Modell?» fragte Delaney.
Sie nickte. «Meistens für Aktbilder. Das macht mir Spaß. Für Maler und für Fotografen.» Sie sah an ihrem Körper herunter, strich über die kleinen, harten Brüste, die Taille, die Hüften, die nackten Schenkel. «Nicht schlecht für eine Frau von Fünfunddreißig, was? Ein Freund von mir möchte unbedingt einen Gipsabguß von mir machen. Vom ganzen Körper. Aber ich weiß nicht recht.
Nach allem, was ich höre, wird es höllisch heiß unterm Gips, wenn der trocknet. Stimmt das?»
«Woher soll ich das wissen?» sagte Delaney ablehnend. «Haben Sie jemals für Victor Maitland Modell gestanden?»
«Nein», sagte sie. «Nie. Ich war nicht sein Typ. Sein Typ Modell, meine ich. Was er mochte, das waren die Üppigen. Strotzende Brüste, ausladender Hintern. Mich hat er die Venus des Computerzeitalters genannt. So will Jake Dukker meinen Akt auf Alufolie nennen: Venus des Computerzeitalters.»
«Könnte Dukker Maitland umgebracht haben?» fragte Delaney direkt.
Wieder brachte er sie aus dem Gleichgewicht. Er kam zu dem Schluß, daß dies genau die richtige Taktik war: sie immer wieder aus dem Gleichgewicht zu bringen, von einem Thema zum anderen springen, ehe sie sich auf eines einstellen konnte. Folgte er einem logischen Gedankengang, würde sie ihm immer zwei Fragen voraus sein.
«Jake?» fragte sie. «Jake Dukker Maitland umbringen?»
So reagieren Menschen, wenn sie Zeit zum Nachdenken brauchen: sie wiederholen einfach die Frage.
«Vielleicht», sagte sie. «Sie waren zwar Freunde, aber Victor hatte etwas, was Jake nie haben wird. Das machte ihn rasend.»
«Und das wäre?»
«Seine Integrität», sagte sie. «Ein altmodisches Wort, aber ich wette, Sie lieben altmodische Wörter, Mr. Delaney. Jake ist der bessere Maler. Hören Sie, ich verstehe was vom Malen, wirklich. Dafür habe ich
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