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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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von einer purpurübergossenen Grotte, einer Höhle, in der es nur eine einzige Farbe gab, die sogar auf die Haut, ja selbst auf die Luft abzufärben schien.
    «Ich werde Sie Miss Sarazen melden», sagte der Diener eine Spur lispelnd.
    Er verschwand in einem angrenzenden Zimmer. Den Hut in der Hand standen sie unbehaglich da und blickten sich in dem farbig überhauchten Raum um.
    «Ist die ganze Wohnung so?» flüsterte Delaney.
    «Nein», flüsterte Boone zurück. «Jeder Raum ist in einer anderen Farbe gehalten. Das Schlafzimmer in Blutrot. Ich mußte aufs Klo; das ist schwarz wie die Sünde. Jedenfalls das, auf dem ich war. Sie sagte mir, die Wohnung hätte drei Bäder.»
    «Prostitution muß ganz schön was einbringen», murmelte Delaney.
    Der Filipino war gleich darauf zurück und führte sie in einen Korridor hinunter, dessen Wände mit Fotos samt Unterschrift der Abgelichteten bedeckt waren. Er ließ sie ein Schlafzimmer betreten und schloß die Tür hinter ihnen. Auch dies Zimmer war in einer einzigen Farbe gehalten: blutrot die Wände, Draperien, Gardinen, die Tagesdecke überm Bett, der Teppich, die Möbel - alles. Den einzigen Kontrast bildeten das knappe weiße Trikot, das silberne Haar und die gebräunte Haut einer Frau, die vor den bis auf den Boden reichenden Fenstern Gymnastik machte.
    «Setzt euch hin, wo ihr wollt, ihr Schätze», rief sie, ohne in ihren langsamen, stetigen Bewegungen innezuhalten. «Dort auf dem Cocktailtischchen stehen Champagner und Orangensaft. Oder drückt auf den Knopf der Gegensprechanlage neben dem Bett, falls ihr was Stärkeres oder Schwächeres möchtet.»
    Behutsam nahmen sie auf roten Sesseln mit schwellenden roten Polstern gegenüber den Fenstern Platz. Die Frau saß im hereinflutenden Licht. Sie schien in eine Aureole gehüllt; ihre Züge zu erkennen war schwierig.
    Die Beine zum Spagat gespreizt, saß sie auf dem Boden. Aus den Hüften heraus beugte sie sich vor und berührte mit der rechten Hand den nackten linken Zeh, dann mit der linken Hand den rechten Zeh, wobei ihre Arme windmühlenflügelgleich durch die Luft wirbelten. Sie trug ein hautenges, tief bis zu den Hüftknochen ausgeschnittenes und im Schritt straff anliegendes weißes Trikot. Dort zeichnete sich deutlich der Venushügel ab.
    Sie hatte den Körper einer Tänzerin: lange Beine, flacher Bauch, muskulöse Schenkel, sehnige Arme, kleine Brüste, deren Warzen sichtbar waren, eine sehr schmale Taille. Ihre Übungen erforderten Kraft und Geschmeidigkeit - beide Männer hätten nichts dergleichen zustande gebracht -, doch kam sie beim Reden nicht außer Atem, und Delaney konnte auf dem Trikot auch keine Schweißflecke entdecken.
    Das silberne Haar war kurz geschnitten, links gescheitelt, und bedeckte den wohlgeformten Schädel wie eine Kappe: keine Welle, kein Löckchen, keine ungebärdigen Strähnen, eng anliegend und schimmernd wie gehämmertes Metall.
    Sie machte Schluß und stand auf, ohne sich mit den Händen abzustützen. Delaney hörte Sergeant Boone vor Neid tief seufzen.
    «Ich möchte Ihnen dafür danken, Miss Sarazen», sagte Delaney mechanisch, «daß Sie uns so prompt empfangen haben.»
    Sie stellte die Füße etwa einen halben Meter auseinander, reckte die Arme über den Kopf und neigte den Rumpf seitwärts, ohne die Hüften zu bewegen.
    «Nennen Sie mich Belle», sagte sie. «Alle meine Freunde nennen mich Belle. Selbst der Kranich nennt mich so. Stimmt's, Kranich?»
    Ein etwas gequältes Lächeln um den Mund sagte Boone zu Delaney: «Der Kranich bin ich.»
    «Ich hoffe, wir werden Freunde», sagte sie, ohne sich beim Rumpfbeugen beirren zu lassen. «Ich möchte gern mit dem berühmten Edward X. Delaney befreundet sein.»
    «So berühmt nun auch wieder nicht», sagte der, ohne die Stimme zu heben.
    «Aber berühmt genug. Ich bin nämlich ein Fan von Ihnen. Ich glaube, ich weiß Dinge über Sie, die sogar Sie selbst schon vergessen haben.»
    «Wirklich?» fragte er voller Unbehagen, weil er fürchtete, daß ihm die Zügel entglitten.
    «Aber ja», sagte sie. «Der Fall Durkee ist mein Lieblingsfall.»
    Er war betroffen. Der Fall Durkee war zwanzig Jahre alt. Ganz gewiß waren die New Yorker Zeitungen voll davon gewesen, doch bezweifelte er, daß irgendwer in Raccoon Ford oder überhaupt in Virginia davon gelesen hatte.
    Ronald Durkee, ein Automechaniker aus Queens, war eines Sonntags in aller Herrgottsfrühe trotz Sturmwarnung zum Angeln auf den Long Island Sound hinausgefahren. Als er um

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