Die zweite Todsuende
Wahrscheinlich nicht.»
«Warum ‹wahrscheinlich nicht›?»
«Weil seine Helfer und Mannequins unten auf ihn warteten.
Und Modelle werden stundenweise bezahlt. Jake ist sehr geschäftstüchtig.»
«Auch als Künstler?»
«Das dürfen Sie mir glauben. Sollte die Hudson-Schule jemals wieder modern werden, sitzt Jake bestimmt draußen an den Palisaden und malt den Fluß, mit Bäumen, Wolken und Indianern im Kanu.»
«Also sind Sie und Dukker nach dem Essen wieder hinuntergegangen ins Atelier, und er fing gegen halb zwei an, weiterzuknipsen. Ist das so richtig?»
«Ja, das stimmt.»
«Wie lange sind Sie geblieben?»
«Ach, noch etwa eine Stunde. Ich hatte einen Termin bei meinem Friseur.»
«Wie viele Fotomodelle waren bei dieser Sitzung in Dukkers Atelier?»
«Das weiß ich nicht mehr.»
«Eins?»
«Nein, zwei oder drei, möchte ich sagen.»
«Vielleicht auch vier? Oder sogar fünf?»
«Möglich ist es», sagte sie. «Ist das wichtig?»
«Was wurde denn vorgeführt?»
«Unterwäsche.»
«Warum waren Sie dabei? So was ist doch eher langweilig, nicht wahr?»
Sie zuckte mit den Achseln. «Ich bin einfach geblieben, weil ich die Zeit bis zum Friseur totschlagen wollte.»
«Nicht, um sich nach Frauen umzusehen, für Ihre Freunde, diese bedeutenden Männer?»
Schon glaubte er, ins Schwarze getroffen zu haben. Sie zuckte zurück, die schmalen Lippen entblößten ihre feuchten Zähne. Er meinte, ein schwaches Zischen zu vernehmen. Aber sie faßte sich und lächelte sanft.
«Mr. Delaney», sagte sie. «Guter alter Edward X. Delaney. Ich betreibe keinen Call-Girl-Ring!»
«Das weiß ich», sagte er. «Etwas so Durchsichtiges und Ordinäres würden Sie nie tun.»
Er merkte, daß Boone neben ihm unruhig hin- und herrutschte und fragte: «Sergeant? Ist was?»
«Sie haben also Maitland mit Modellen versorgt?» fragte Boone.
«Gelegentlich», sagte sie kurz angebunden. «Und ich habe ihn auch nicht damit versorgt. Ich habe ihn auf sie aufmerksam gemacht.»
«Haben Sie ihn jemals auf ein sehr junges Mädchen hingewiesen, eine Puertorikanerin? Oder Italienerin?»
Sie legte die Stirn in Falten und dachte einen Augenblick nach. «Im Augenblick fällt mir keine ein», sagte sie. «In letzter Zeit?»
«Sagen wir, ein paar Wochen vor seinem Tod.»
«Nein», erklärte sie entschieden. «Ich habe Victor mindestens seit einem halben Jahr kein Mädchen mehr geschickt. Um wen geht es?»
Boone sah Delaney an. Der Chief sah keinerlei Grund, Belle Sarazen nicht zu erzählen, warum sie daran interessiert waren. Er beschrieb ihr die drei Skizzen, die in Maitlands Atelier gefunden worden waren und die wohl kurz vor seiner Ermordung entstanden sein mußten, vielleicht sogar am Vormittag des Mordtages.
«Wo sind sie denn jetzt?» fragte sie.
«Die habe ich», sagte Delaney.
«Bringen Sie sie doch mal her», schlug sie vor. «Ich sehe sie mir an. Vielleicht kann ich sie identifizieren. Ich kenne die meisten Modelle, die Victor benutzte, und noch viele andere.»
«Gut», sagte Delaney. Er erhob sich und steckte das Notizbuch weg. Sergeant Boone tat das gleiche. Sie dankten Belle Sarazen für ihre Hilfsbereitschaft und fragten, ob sie wiederkommen dürften, falls sich noch Fragen ergäben.
«Jederzeit», sagte sie. «Ich bin immer hier.»
Sie klingelte nach dem Filipino, stellte Delaney aber noch ganz überraschend eine Frage: «Sie glauben nicht wirklich, daß ich wußte, es war mein Mann, auf den ich damals geschossen habe, nicht wahr?» Ihr Lächeln hatte etwas Kokettes, beinahe Keckes.
«Wer könnte das jetzt noch sagen?» antwortete er.
In Boones Wagen verglichen sie ihre Notizen und ergingen sich in weiteren Spekulationen.
«Bei ihrer Vernehmung kamen Drogen nicht zur Sprache», überlegte Delaney. «Keine Hausdurchsuchung. Aber eine Frau, die ein solches Leben führt, wie sie, nimmt bestimmt Drogen. Ich möchte wetten, daß sie schnupft. Vielleicht stammen die Poppers in Maitlands Atelier von ihr.»
«Könnte sein», stimmte Boone zu. Vielleicht beliefert sie auch ihre prominenten Freunde. Sie sind aber verdammt unsanft mit ihr umgesprungen, Chief. Glauben Sie nicht, man wird uns die Hölle heiß machen?»
Delaney überlegte einen Augenblick.
«Möglich», gab er zu. «Vielleicht läßt sie sich vom gesamten Haushaltsausschuß vögeln; mich würde das kein bißchen wundern. Wenn ich heute abend einen Anruf von Thorsen bekomme, weiß ich, daß wir in die Scheiße getreten haben. Welches Motiv sehen Sie
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