Die zweite Todsuende
unerschütterlich. Diesen Satz, ging es Delaney durch den Kopf, hatte er seit zwanzig Jahren nicht mehr gehört. «Emily», wies sie ihre Tochter an, «schenk du ein.»
Die Jüngere sprang auf. «Ja, Mama.»
Sie trug einen ärmellosen Kittel mit Stehkragen, doch nicht einmal dieses wallende Gewand konnte ihre Korpulenz verbergen, die üppigen Schwellungen von Busen und Hüften. Ihre bloßen Arme hätten zu einer Metzgersgattin gepaßt; dreifach gepolstert ruhte das Kinn auf dem hohen Kragen. Selbst ihre Finger waren wurstförmig; dicke Zehen entquollen ihren Riemensandalen.
Sie besaß die makellose Haut vieler dicker Frauen, und wenn ihr Gesicht auf den ersten Blick kleinmädchenhaft und leer schien, so war es doch freundlich und ohne Arg. Als sie die Limonade einschenkte, verschüttete sie ein paar Tropfen, sagte: «Ach, du meine Güte!» und errötete so, daß sie in ihrer Verwirrung geradezu hübsch wirkte. Delaney schätzte sie auf etwa zweiunddreißig und überlegte, was für ein Leben sie wohl führen mochte, mit diesem Faß von Körper und hier, wo die Füchse sich gute Nacht sagten.
Als sie ihm seine Limonade reichte, betrachtete er ihre braunen Augen und erkannte darin überrascht so etwas wie pfiffige Intelligenz. Bei aller Körperfülle waren ihre Bewegungen doch sicher und anmutig, fast zierlich. Auch ihre Stimme klang hell, jünger als ihr Alter vermuten ließ, und hatte dabei einen warmen, koketten Unterton. Als sie Boone sein Glas reichte, lächelte sie freundlich und sagte: «Da, bitte schön, Sergeant!», und Delaney bemerkte, daß sie es so einzurichten verstand, daß beider Finger einander kurz berührten.
Die Limonade bestand aus frisch gepreßtem Zitronensaft, war leicht gezuckert und wunderbar kühl. Sie war köstlich, und Delaney sagte Mrs. Maitland das auch. Königlich neigte sie das Haupt.
Sodann bewunderte er den Ausblick und beobachtete, wie ein Segelboot zwischen bewaldeten Ufern langsam von New York her in Richtung Bear Mountain kreuzte. «Prachtvoll», bemerkte Delaney, und Mrs. Maitland sagte: «Vielen Dank», als ob das Panorama das Werk ihrer Hände wäre.
Nach diesem Austausch von Artigkeiten fragte sie forsch: «Mr. Delaney, was genau wird eigentlich unternommen, um den Mörder meines Sohnes zu finden?»
«Ma'am», sagte Delaney, lehnte sich vor und blickte ihr dabei tief in die Augen, «ich kann Ihnen nur versichern, daß im Augenblick alle verfügbaren Kräfte der New Yorker Polizei auf der Suche nach dem Mörder Ihres Sohnes sind. Es bleibt nichts ungetan, was geeignet sein könnte, den oder die dafür Verantwortlichen zu finden. Sergeant Boone und ich sind von allen anderen Aufgaben entbunden worden, damit wir uns ganz und gar auf diesen Fall konzentrieren können. Uns stehen der enorme Personalbestand sowie der ganze technische Apparat der Polizei zur Verfügung. Glauben Sie mir, was Sergeant Boone und mich betrifft, so hat die Suche nach dem Mörder Ihres Sohnes Vorrang vor allem anderen. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen, wir arbeiten mit Hochdruck.»
Sein Eifer schien Mrs. Maitland zu beeindrucken. Es dauerte einige Augenblicke, bis ihr aufging, daß Delaney nichts, aber auch gar nichts gesagt hatte.
«Aber was wird getan?» wollte sie wissen. «Gibt es schon einen Verdächtigen?»
«Wir verfolgen ein paar heiße Spuren», sagte Delaney. «Sehr vielversprechende. Ich wünschte, ich könnte Ihnen mehr sagen, Mrs. Maitland, doch das kann ich nicht, ohne möglicherweise unschuldige Menschen in Verdacht zu bringen. Aber ich versichere Ihnen, wir kommen gut voran.»
«Und Sie meinen, Sie finden den Mörder?»
«Ich glaube, die Aussichten dafür sind sehr gut.»
«Wann ist mit einer Festnahme zu rechnen?»
«Bald», sagte er leise. «Es ist ein außerordentlich verzwickter Fall, Mrs. Maitland, ich kann mich nicht erinnern, es je mit einem schwierigeren oder wichtigeren zu tun gehabt zu haben. Sie, Sergeant?»
«Nein», kam es ohne Zögern von Boone. «Es ist schon ein außerordentlich vertrackter Fall. Äußerst kompliziert.»
«Kompliziert.» Delaney griff das Wort mit Nachdruck auf. «So ist es. Das ist auch der Grund, warum wir von New York heraufgefahren sind, um Sie und Ihre Tochter zu sprechen, Mrs. Maitland. Wir hoffen, Sie können uns Informationen liefern, die uns helfen, Licht in den äußerst verwickelten Tatbestand zu bringen.»
«Wir sind aber schon vernommen worden», sagte sie pikiert. «Wir haben unsere Aussagen zu Protokoll gegeben und
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