Die zweite Todsuende
her.»
«Warum nicht?» fragte Boone.
«Ihr Traum ist, alles wieder herzurichten, wie es einmal war. Ein Paradies. Vögel und Blumen. Das muß sie einfach haben.»
«Nein», sagte Boone. «Das habe ich nicht gemeint. Ich meine, erwartet sie etwa, plötzlich zu Geld zu kommen? Eine Erbschaft vielleicht?»
«Ah», sagte Delaney. «Das ist eine gute Frage. Mit allen Wassern gewaschen, diese Dame. Haben Sie das von den bösartigen Gerüchten mitgekriegt, als sie noch Schauspielerin war? Ich lege die Hand dafür ins Feuer, daß das stimmt! Und diesen ganzen Schmus hat sie uns nur erzählt, um uns zuvorzukommen, falls wir nachbohren. Nun, der Vormittag hat sich jedenfalls gelohnt.»
«Wirklich, Sir?» fragte Boone. «Inwiefern?»
«Wir haben jetzt eine Menge zu tun. Und wir werden nicht das letzte Mal hiergewesen sein. Wenigstens einmal müssen wir noch hin. Und zwar an einem Freitag, wenn die Haushälterin ihren freien Tag hat. Wie sie heißt und wo sie wohnt, werden wir schon vom Postboten oder so jemand erfahren. Ich möchte, daß Sie die mal genauer unter die Lupe nehmen.»
«Ich?»
«Wie ordnen Sie ihren Akzent ein? Ich dachte an Virginia.»
«Noch weiter südlich, Chief. Vielleicht Georgia.»
«Deshalb möchte ich ja, daß Sie sie ausholen. Sie haben den Akzent drauf.»
«Hab ich das?» fragte Boone. «Das hätte ich nicht gedacht.»
«Haben Sie aber», sagte Delaney freundlich. «Nicht sehr ausgeprägt, aber vorhanden. Und wenn Sie ihn rauskehren, klingt er bestimmt überzeugend.»
«Sie möchten gern wissen, wie oft Victor Maitland und Saul Geltman dort zu Besuch waren?» mutmaßte Boone.
«Richtig.» Delaney nickte. «Das wäre ein Anfang. Und alles, was sonst so unterläuft. Wie's zum Beispiel mit Doras Trinkerei steht und ob die pummelige Emily geldgierige Freunde hat, Männer, meine ich.»
«Sonst noch was?»
«Wie es um ihr Bankkonto bestellt ist, kriege ich schon so raus. Was ich dazu brauche, weiß ich nicht; vielleicht einen Gerichtsbeschluß, vielleicht bedarf es dazu aber auch bloß eines Anrufs oder eines Briefs von Thorsen an die lokalen Behörden. Wir müssen vorsichtig sein. Schließlich ist J. Barnes Chapin Doras Bruder, und daß der gereizt wird, ist das allerletzte, was wir wollen. Allerdings, das Konto müssen wir uns ansehen, da kommen wie nicht darum herum.»
«Glauben Sie allen Ernstes, Chief, daß Dora oder Emily oder beide gemeinsam an jenem Freitag nach New York gefahren sind, um …? Wegen seines Geldes?»
«Es ist möglich. Er hat kein Testament hinterlassen, aber vielleicht bekommt die Mutter was ab. Das ist noch etwas, was ich in Erfahrung bringen muß. Aber selbst wenn sie es nicht selbst getan haben, eine größere Abhebung vom Konto in, sagen wir, in den letzten sechs Monaten, wäre immerhin ein Alarmzeichen.»
Boone dachte eine Weile nach.
«Sie hätten jemand gedungen?»
«Könnte sein», sagte Delaney. «So was passiert alle Tage.»
«Himmelherrgott, Chief! Sie ist seine Mutterl»
«Na und?» Delaney war ungerührt. «Früher gingen 75 Prozent aller Morde aufs Konto von Verwandten, Freunden oder Bekannten des Opfers. Das hat sich in den letzten fünf Jahren geändert; die Zahl der ‹Fremd-Morde› hat zugenommen. Trotzdem sind bei zwei Dritteln aller Morde immer noch Verwandte und Freunde die Täter. Das gehört nun mal zu den Grundtatsachen. Und zu den Grundregeln. Bei jedem Mordfall sieht man sich zunächst einmal die Familie an.»
Abner Boone stieß einen tiefen Seufzer aus. «Das ist deprimierend.»
Delaney blickte ihn von der Seite her an.
«Sergeant», sagte er, «ich glaube, Sie sind ein Idealist. Wir arbeiten mit dem, was wir haben. Es wäre Torheit, wenn wir die Statistik außer acht ließen. Und ich glaube, sowohl Dora als auch Emily sind kräftig genug, sie hätten es tun können. Zu Anfang habe ich nicht gedacht, daß es eine Frau wäre. Monica glaubt es auch jetzt noch nicht. Ich hingegen ziehe es immerhin in Erwägung. Wie stark muß man eigentlich sein, um jemand ein Messer reinzurammen ?»
«Jedenfalls stärker als ich», sagte Sergeant Boone.
Sie hatten die Stadt erreicht und fuhren auf der Columbus Avenue nach Manhattan Süd hinunter. Delaney parkte in der zweiten Reihe. «Es dauert nur eine Minute», sagte er und ging in eine Bodega, um eine Sechserpackung gut gekühltes Ballantine-Ale zu kaufen. Als er wiederkam, bat Boone ihn, einen Moment zu warten, und sprang über die Straße in einen Blumenladen. Mit einem Strauß kleiner
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