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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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eine Gans brät.
    Die Unterhaltung verlief leise, fast halblaut, wiewohl dafür kein Grund vorlag. Es war einfach nicht nötig, laut zu reden. Jeder hoffte, daß sich die anderen genauso wohl fühlten wie er: ein gutes Essen, alle Bedürfnisse befriedigt. Frieden, der sich einstellt, sobald das Begehren gestillt ist, wenn auch nur vorübergehend.
    «Rebecca», fragte Delaney fast träge, «lebt deine Mutter eigentlich noch?»
    «Aber ja doch. In Florida. Gott sei Dank!»
    «Warum ‹Gott sei Dank›? Weil sie noch am Leben ist oder weil sie in Florida lebt?»
    Sie lachte und senkte den Kopf so tief, daß ihr schönes langes Haar das Gesicht verbarg. Dann warf sie den Kopf zurück, und das Haar fiel wieder, wie es fallen sollte. Unruhig rutschte Sergeant Boone auf seinem Sessel hin und her.
    «Ich hätte das nicht sagen sollen», gestand sie, «aber sie ist schwer zu ertragen. Eine Mutter, wie sie im Buche steht. Als sie noch hier in New York lebte, bin ich manchmal die Wände hochgegangen. Selbst von Florida kommen immer noch Ermahnungen. Was ich essen soll, was anziehen, wie mich verhalten.»
    «Sie will über dein Leben bestimmen?»
    «Darüber bestimmen? Als ob es ihr eigenes wäre!»
    Monica sah ihn an.
    «Edward, wieso dieses Interesse an Rebeccas Mutter?»
    Er seufzte, überlegte, was er sagen sollte und was nicht. Immerhin, sie waren Frauen, ihre Intuition erwies sich vielleicht als nützlich. Er machte von jedermann Gebrauch, ohne sich jemals dafür zu entschuldigen.
    «Der Fall, an dem Sergeant Boone und ich arbeiten …» sagte er. «Wir sind da heute zufällig in eine interessante Situation hineingeraten. In eine Mutter-Tochter-Beziehung …»
    So präzise er konnte, beschrieb er Dora und Emily Maitland, ihr Alter, ihre Erscheinung, das Haus, in dem sie lebten, ihre Stimmen, ihre Art, sich zu geben. «Finden Sie, daß ich sie zutreffend beschrieben habe, Sergeant?» wandte er sich zum Schluß an Boone.
    «Jawohl, Sir, das würde ich sagen. Nur, daß Sie in Emily mehr Vitalität vermuten als ich. Ich halte die Mutter für übermächtig.»
    «Hmm», machte Delaney. Doch dann, ohne Rebecca und Monica zu verraten, daß die beiden Frauen, über die sie sprachen, bei ihren Ermittlungen als mordverdächtig galten (was Monica freilich ahnte), lehnte er sich zurück und fragte sie rundheraus: «Wie seht ihr eine solche Beziehung? Vor allem, warum hat die Tochter sich immer noch nicht von zu Hause gelöst? Warum ist sie nicht abgeschwirrt? Und beherrscht die Mutter die Tochter oder umgekehrt?»
    «Wohin abgeschwirrt?» wollte Monica Delaney wissen. «Womit denn? Mama hat doch die Hand auf dem Portemonnaie, oder? Was soll die Tochter denn machen - nach New York kommen und in der Fifth Avenue auf den Strich gehen? So, wie du sie beschrieben hast, kann ich mir nicht vorstellen, daß sie dort besonders viel Erfolg hätte. Hat sie denn irgendwas gelernt? Kann sie eine Stellung annehmen?»
    «Warum ist sie nicht schon vor fünfzehn Jahren von daheim fortgegangen und hat gelernt, für sich selbst aufzukommen?» fragte Rebecca. «Vielleicht gefällt es ihr dort? Im schönen, sicheren Käfig?»
    «Das meine ich ja auch, Chief», sagte Sergeant Boone. «Wenn sie so viel Chuzpe hätte wie Sie …»
    «Hoo-hah!» ließ Rebecca sich vernehmen. «Chuzpe! Hör sich das einer an!»
    Boone errötete und lächelte.
    «Na ja …» sagte er lahm. «Wenn diese Emily so viel Mumm hätte, wie Sie annehmen, Chief, dann wäre sie schon vor Jahren abgehauen.»

    «Vielleicht hat sie Angst», sagte Monica.
    «Angst?» fragte Delaney. «Wovor?»
    «Vor der Welt», meinte seine Frau. «Oder vor dem Leben.»
    «Sie haben gesagt, sie ist übermäßig dick», gab Rebecca zu bedenken. «Kann sein, sie fühlt sich einsam. Glauben Sie mir, ich kenne das! Man ist unglücklich, also ißt man. Und allein da draußen mit der verrückten Mutter, was soll sie schon machen als essen? Sie möchte womöglich was anderes, was Besseres. Aber wie Monica schon sagte, sie hat Angst. Vor der Veränderung. Und von Jahr zu Jahr wird es schwerer, den Absprung zu finden.»
    «Vielleicht wartet sie auch darauf, daß die Mutter stirbt», sagte Monica. «So was kommt vor. Manchmal dauert es aber so lange, daß die Tochter, wenn es endlich geschieht, unterdessen längst selber die Rolle der Mutter übernommen hat. Versteht ihr?»
    «Ich weiß, was du meinst.» Delaney nickte. «Aber ich zweifle in diesem Fall daran. Die alte Frau ist nicht tot. Ich meine, innerlich ist sie

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