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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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bückte sich und nahm dem Kind die Erbsenblüten aus dem Mund, die es abgerissen hatte, um sie zu probieren. Mit sichtlicher Mühe hob sie den Kleinen hoch und rief zum Haus hinüber: ›Schatz, komm bitte und hol deinen Sohn, bevor er den ganzen Garten aberntet. Und Nessel soll herkommen und für mich ein paar Rüben ausmachen.‹
    Dann hörte ich Burrich antworten: ›Komme gleich!‹ Er erschien im Türrahmen und rief über die Schulter: ›Lass den Abwasch, Nessel. Hilf erst deiner Mutter.‹ Ich beobachtete, wie er mit wenigen großen Schritten den Hof überquerte und Molly das Kind abnahm. Der Junge quietschte begeistert, als er ihn durch die Luft schwenkte und sich ihn dann auf die Schulter setzte. Molly, eine Hand auf ihren Bauch gelegt, lachte mit ihnen, und ihre Augen, als sie die beiden anschaute, ihren Gatten und ihren Sohn, glänzten.«
    Meine Stimme versagte. Tränen blendeten mich, ich sah das Meer wie durch einen Nebelschleier.
    Ich fühlte die Hand des Narren auf meiner Schulter. »Du bist nicht zu ihnen hinuntergegangen, habe ich Recht?«
    Ich schüttelte stumm den Kopf.
    Ich war geflohen. Geflohen vor dem plötzlichen Neid, der mir das Herz abdrückte, und geflohen aus Angst, wenn ich meine Tochter sähe, könnte ich nicht länger widerstehen und müsste hingehen zu ihr. Dort unten gab es keinen Platz für mich, nicht einmal am äußersten Rand ihrer Welt. Ich wusste es. Hatte es gewusst, als ich erfuhr, dass sie sich einander anvertrauen wollten. Wenn ich auf ihre Schwelle trat, brachte ich Kummer und Leid über sie alle.
    Ich bin nicht besser als jeder andere Mensch. Ich war voller Bitterkeit und Zorn auf sie beide und empfand wie einen Dolchstich die Ungerechtigkeit des Schicksals, welches uns alle schnöde betrogen hatte. Ich konnte ihnen nicht zum Vorwurf machen, dass sie sich einander zugewandt hatten. Ebenso wenig hatte ich einen Grund, mich schuldig zu fühlen, weil es mich schmerzte, dass sie mich damit auf ewig aus ihrem Leben hinausgedrängt hatten. Es war geschehen und unabänderlich und sich deswegen zu quälen sinnlos. Die Toten, sagte ich mir, haben ihre Ansprüche an die Lebenden verwirkt. Das Einzige, was ich mir zugutehalten kann, ist dass ich die Kraft fand wegzugehen. Ich vergiftete ihr Glück nicht mit meinem Schmerz und vergällte meiner Tochter nicht ihr Zuhause. So viel Größe besaß ich immerhin.
    Ich holte tief Atem und fand meine Stimme wieder. »Das ist das Ende meiner Geschichte. Der nächste Winter überfiel uns hier in dieser Gegend. Wir fanden diese Hütte und richteten uns darin ein. Und hier sind wir all die Jahre geblieben.« Ich atmete seufzend aus und überdachte noch einmal, was ich erzählt hatte. Im Nachhinein erschien es mir kaum bemerkenswert.
    Was er dann sagte, schreckte mich auf. »Und dein anderes Kind?«, fragte er behutsam.
    »Mein anderes Kind?«
    »Pflichtgetreu. Hast du ihn besucht? Ist er nicht dein Sohn, so wie Nessel deine Tochter ist?«
    »Ich – nein. Nein, das ist er nicht. Und ich habe ihn nie gesehen. Er ist Kettrickens Sohn und Veritas’ Erbe. Ich bin sicher, das ist der Sachverhalt, an den sich auch Kettricken erinnert.« Mein Gesicht wurde heiß vor Verlegenheit, dass der Narr dieses dunkle Geheimnis ans Licht gezerrt hatte. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. »Mein Freund, nur du und ich wissen, in welcher Weise Veritas mich benutzt hat – meinen Körper. Als er mich um meine Erlaubnis bat, missverstand ich sein Anliegen. Ich selbst habe keine Erinnerung daran, wie Pflichtgetreu gezeugt wurde. Du weißt sicherlich noch; ich war bei dir, gefangen in Veritas’ geschundenem Fleisch. Mein König tat, was er tun musste, um dem Thron einen Erben zu verschaffen. Ich verüble es ihm nicht, aber ich mag auch nicht daran erinnert werden.«
    »Merle weiß es nicht? Und auch Kettricken nicht?«
    »Merle schlief tief und fest in jener Nacht. Glaub mir, wenn sie auch nur den Hauch einer Ahnung gehabt hätte, hätte die Welt inzwischen davon erfahren. Kein Vagant könnte der Versuchung widerstehen, solche Geschehnisse laut und lange zu besingen, und wenn er damit sich selbst oder ein ganzes Land ins Unglück stürzte. Und Kettricken, nun, die Gabe brannte in Veritas wie die Sonne. Sie sah nur ihren König in ihrem Bett in jener Nacht. Niemals hätte sie sonst geduldet …« Ich seufzte. »Ich schäme mich, an dieser Täuschung beteiligt gewesen zu sein. Es steht mir nicht zu, die Klugheit von Veritas Entscheidung in Frage zu stellen, aber

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