Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
mir hinausgegangen, um nach ihren Visionen die Zukunft der Welt zu formen. In jedem Zeitalter gibt es nur einen Weißen Propheten. Jedermann weiß das. Selbst ich wusste es. Doch wer war dann ich?, fragte ich sie. Und sie konnten mir nicht sagen, wer ich war, doch sie wussten genau, wer ich nicht war. Ich war nicht der Weiße Prophet. Sie hatte man bereits vorbereitet und ausgesandt.«
Er schwieg, wie es mir vorkam, lange Zeit. Endlich zuckte er die Achseln.
»Ich wusste, sie irrten. Wusste es so bestimmt, wie ich wusste, wer ich war. Sie versuchten, mich mit meinem Dasein bei ihnen zu versöhnen. Ich glaube nicht, dass sie auch nur im Traum daran dachten, ich könnte ihnen zuwiderhandeln. Doch ich tat es. Ich lief weg. Und ich gelangte in den Norden, auf Wegen und Weisen, für die ich keine Worte fände, sollte ich versuchen, sie zu beschreiben. Allen Widerständen zum Trotz wanderte ich weiter nordwärts, bis ich zum Hofe von König Listenreich Weitseher gelangte. Und sein Leibeigener wurde, nicht viel anders als du. Meine Ergebenheit für seinen Schutz. Und kaum einen Sommer war ich dort, als das Gerücht von deinem Kommen den Hof in Aufruhr versetzte. Ein Bastard. Ein Kind, mit dem keiner gerechnet hatte, ein Weitseherspross, doch nicht anerkannt. O, wie überrascht alle waren. Alle außer mir. Denn ich hatte im Traum bereits dein Gesicht geschaut und wusste, ich musste dich finden, obwohl meine Hüter mir versicherten, dass es dich nicht gab, nicht geben konnte.«
Unvermittelt beugte er sich vor und schloss seine behandschuhten Finger um meinen Unterarm. Unsere Haut berührte sich nicht, und doch spürte ich in diesem Augenblick ein blitzartiges Einssein. Ich kann es nicht anders beschreiben. Es war nicht die Gabe, es war nicht die Alte Macht. Es war überhaupt keine Form von Magie, wie ich sie kannte, vielmehr empfand ich es wie diesen Schauder des Wiedererkennens, der einen plötzlich an einem fremden Ort überfällt. Mir war, als hätten wir schon einmal genau so zusammengesessen, hätten diese selben Worte gesprochen, und jedesmal wurde das Gesagte mit dieser kurzen Berührung besiegelt. Ich wandte den Blick ab und begegnete den dunklen Augen des Wolfs, die sich in meine bohrten.
Ich hustete und knüpfte bei einem früheren Punkt des Gesprächs wieder an. »Du sagst, du kanntest sie. Dann hat sie einen Namen?«
»Keinen, den du je gehört haben dürftest. Aber du hast von ihr gehört. Erinnerst du dich, dass wir während der Piratenkriege als ihren Anführer nur Kebal Steinbrot kannten?«
Ich nickte bestätigend. Kebal Steinbrot war ein Stammeshäuptling der Outislander gewesen. Er war zu raschem, blutigem Ruhm gelangt und nach dem Erwecken unserer Drachen ebenso schnell wieder vom Gipfel der Macht herabgestürzt. In einigen Moritaten hieß es, Veritas’ Drache hätte ihn verschlungen, andere behaupteten, er wäre ertrunken.
»Ist dir je zu Ohren gekommen, dass er einen Berater zur Seite hatte? Eine Fahle Frau?«
Etwas regte sich in meiner Erinnerung. Ja. Es hatte ein Gerücht gegeben, aber nicht mehr als das. Wieder nickte ich.
»Nun«, der Narr lehnte sich zurück, »das war sie. Und ich will dir noch etwas sagen. Nicht nur ist sie überzeugt, der Weiße Prophet zu sein, sie glaubt auch, Kebal Steinbrot wäre ihr Katalyst.«
»Er, der kommt, um andere zu Helden zu machen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht dieser. Ihr Katalyst kommt, um Helden zu stürzen. Um Menschen die Möglichkeit zu geben weniger zu sein, als sie sein könnten. Dort wo ich aufbauen will, will sie zerstören, wo ich versöhnen will, will sie entzweien.« Er schüttelte den Kopf. »Sie glaubt, erst muss alles enden, bevor es einen neuen Anfang geben kann.«
Ich wartete darauf, dass er sich dazu äußerte, doch er schwieg. Schließlich gab ich ihm einen Anstoß. »Und was glaubst du?«
Ein langsames Lächeln zog über sein Gesicht. »Ich glaube an dich. Du bist mein neuer Anfang.«
Darauf wusste ich nichts zu sagen. Stille wuchs in der Stube.
Bedächtig hob er die Hand zum Ohr. »Dies trage ich, seit wir uns damals getrennt haben, aber ich denke, ich sollte es dir jetzt zurückgeben. Wo ich hingehe, darf ich diesen Schmuck nicht zeigen. Er ist zu ungewöhnlich. Die Leute könnten sich daran erinnern, einen Ohrring wie diesen bei dir gesehen zu haben. Oder bei Burrich. Oder bei deinem Vater. Schlafende Hunde soll man nicht wecken.«
Ich schaute zu, wie er sich mit dem Verschluss abmühte. Der Ohrschmuck bestand aus einem
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