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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Flasche zurück zum Kamin. »Hast du ein Stück Papier? Ich habe keins mitgebracht.«
    Ich gab ihm das Gewünschte und verfolgte skeptisch, wie er einen langen Streifen abriss, ihn der Länge nach auf die Hälfte kniffte und dann eine gewisse Menge Pulver in die Furche rieseln ließ. Sorgfältig faltete er den Streifen darüber, faltete ihn nochmals und drehte ihn spiralförmig zusammen. »Und jetzt schau her!«, forderte er mich lebhaft auf.
    Ich beobachtete mit einem unguten Gefühl, wie er den Fidibus ins Feuer legte. Doch was immer dieser erwartungsgemäß tun sollte – explodieren, Funken sprühen, oder Qualm produzieren –, es geschah nicht. Das Papier färbte sich braun, flammte auf und verbrannte. Leichter Schwefelgeruch breitete sich aus. Das war alles. Ich blickte Chade an und hob eine Augenbraue.
    »Es hat nicht funktioniert!«, verteidigte er sich aufgeregt. Eilig präparierte er eine zweite Papierspirale, diesmal mit einer größeren Menge des Pulvers aus der kleinen Flasche, und platzierte sie im heißesten Bereich des Feuers. Ich beugte mich nach hinten, zur Sicherheit, doch es passierte wieder nichts. Ich rieb mir den Mund, um mein Feixen über sein maßlos enttäuschtes Gesicht zu verbergen.
    »Man könnte glauben, ich verstünde mein Handwerk nicht mehr!«, rief er aus.
    »Nie und nimmer«, wiedersprach ich, aber es fiel mir schwer, ernst zu bleiben. Diesmal hatte die Kartusche, die er herstellte, Ähnlichkeit mit einer dicken Wurst, und Pulver rieselte heraus, als er sie zusammendrehte. Ich stand auf und trat ein paar Schritte zurück, als er sie in die Flammen legte. Doch wie zuvor verbrannte das Päckchen sang-und klanglos.
    Er schnaubte zornig. Er lugte in den Hals der kleinen Flasche, schüttelte sie, fluchte und drehte den Korken hinein. »Feucht geworden, irgendwie. Tja, das war’s dann. Heute keine Vorstellung.« Damit warf er die Flasche ins Feuer, bei Chade ein Zeichen höchsten Unmuts.
    Nachdem wir uns wieder hingesetzt hatten, konnte ich spüren, wie sehr ihm der Fehlschlag zu schaffen machte und versuchte, ihn aufzuheitern. »Das erinnert mich an damals, als ich das Rauchpulver mit der gemahlenen Speerwurzel verwechselt hatte. Erinnerst du dich? Mir haben noch Stunden später die Augen getränt.«
    Er stieß ein kurzes Lachen aus. »Und ob.« Danach schwieg er eine Weile und lächelte in sich hinein. Ich wusste, seine Gedanken wanderten zurück zu unserer gemeinsamen Zeit. Dann beugte er sich vor und legte mir die Hand auf die Schulter. »Fitz«, sagte er ernst und schaute mir mit einem zwingenden Blick in die Augen, »ich habe dich nie getäuscht, oder? Ich war aufrichtig. Ich habe dir gesagt, welches Handwerk du bei mir lernst, von Anfang an.«
    Da erkannte ich das Narbengewebe über alten Wunden. Ich legte meine Hand auf die seine. Die Knöchel waren spitz, die Haut papierdünn. Ich hielt den Blick ins Feuer gerichtet, während ich sprach. »Du warst immer ehrlich zu mir, Chade. Wenn irgendjemand mich getäuscht hat, dann ich mich selbst. Wir haben beide unserem König gedient und getan, was getan werden musste, zum Nutzen des Reichs. Dass ich nicht nach Bocksburg zurückkomme, hat nichts mit dir zu tun, sondern liegt einzig daran, dass ich nicht mehr der bin, der ich war. Ich trage dir nichts nach, gar nichts.«
    Ich wandte den Kopf, um ihn anzusehen. Sein Gesicht war sehr ernst, und ich las in seinen Augen, was er nicht ausgesprochen hatte. Er vermisste mich. Nicht nur aus politischen Gründen, auch um seiner selbst willen versuchte er mich zur Rückkehr nach Bocksburg zu bewegen. Balsam für meine Seele. Ich wurde immer noch geliebt, von Chade wenigstens. Rührung überkam mich, die Kehle wurde mir eng. Ich versuchte, die Stimmung aufzulockern. »Du hast nie behauptet, als dein Famulus hätte ich ein ruhiges, sicheres Leben …«
    Wie um meine Worte zu unterstreichen, schoss ein Blitz aus dem Kamin. Ein krachender Donnerschlag machte mich taub. Schwelende Holzstücke und Funken spritzten herum und das Feuer brüllte plötzlich wie ein wütender Löwe. Wir sprangen auf und brachten schleunigst einigen Abstand zwischen uns und den Kamin. Im nächsten Augenblick löschte eine Rußlawine aus meinem vernachlässigten Schornstein den größten Teil des Feuers aus. Chade und ich tanzten durchs Zimmer, traten die Funken aus und beförderten Stücke der kokelnden Flasche zurück auf den gemauerten Platz vor dem Kamin, bevor der Holzboden anfing zu schmoren. Die Tür flog krachend auf.

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