Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
gründlicheren Frühjahrsputz angedeihen, als sie seit Jahren erlebt hatte. Ich sägte den geknickten Ast ab, und er fiel akkurat auf das Dach des frisch gereinigten Hühnerstalls. Ich setzte ein neues Dach auf den Hühnerstall. Mit dieser Arbeit war ich gerade fertig, als Nachtauge meldete, es kämen Reiter. Ich stieg nach unten, hob mein Hemd auf und ging nach vorn, um Merle und Harm zu empfangen, die auf das Haus zuhielten.
Ich weiß nicht, ob es an der Trennung lag oder an meiner jüngst erwachten Rastlosigkeit, aber ich sah Harm und Merle plötzlich, als wären sie Fremde. Es war nicht nur Harms neue Kleidung, obwohl sie seine langen Beine und seine breiter werdenden Schultern betonte. Er sah komisch aus auf dem Rücken des dicken alten Ponys, eine Tatsache, derer er sich zweifellos bewusst war. Das Reittier war dem heranwachsenden Jüngling ebenso wenig angemessen wie das Kinderbett in meiner Hütte und mein gesetzter Lebensstil. Mir kam der Gedanke, dass ich nicht das Recht hatte, von ihm zu verlangen, sich hier zu vergraben und auf die Hühner aufzupassen, während ich auf Abenteuer auszog. Mehr noch, wenn ich ihn nicht bald wegschickte, um sein Glück zu suchen, würde die schwelende Verdrossenheit, die ich bei dieser Heimkehr aus der großen Welt in seinen verschieden gefärbten Augen erkannte, bald zu bitterer Enttäuschung über sein enges Leben werden. Harm war mir ein guter Gefährte gewesen, vielleicht ebenso mein Retter wie ich der seine, als Merle mir seinerzeit den Findling brachte. Ich tat gut daran, ihn auf seinen Weg ins Leben zu schicken, solange wir einander noch zugetan waren, statt zu warten, bis ich zu einer mühevollen Last für seine jungen Schultern wurde.
Nicht nur Harm hatte sich in meinen Augen verändert. Merle war heiter wie immer, lächelte mir entgegen, schwang ein Bein über den Pferderücken und glitt aus dem Sattel. Doch als sie mit weit ausgebreiteten Armen auf mich zukam, wurde mir klar, wie wenig ich von ihrem jetzigen Leben wusste. Ich blickte in ihre strahlenden dunklen Augen und bemerkte zum ersten Mal die beginnenden Krähenfüße in den äußeren Winkeln. Im Lauf der Jahre war ihre Kleidung reicher geworden, die Rasse ihrer Pferde edler und ihr Schmuck kostbarer. Heute trug sie ihr dickes schwarzes Haar mit einer Spange aus schwerem Silber zusammengefasst. Offensichtlich fehlte es ihr an nichts. Drei-oder viermal im Jahr brach sie über mich herein, blieb ein paar Tage und brachte frischen Wind in mein ruhiges Dasein mit ihren Geschichten und Balladen. Wenn sie da war, bestand sie darauf, das Essen nach ihrem Geschmack zu würzen, belagerte meinen Tisch und Schreibtisch mit einer Schicht ihrer Habseligkeiten, und mein Bett war nicht länger ein Ort, den ich aufsuchte, um zu ruhen. Die Tage unmittelbar nach ihrer Abreise gemahnten mich jedesmal an eine Landstraße, über der noch die Staubwolke einer abziehenden Gauklertruppe hing. Es war das gleiche Gefühl von Atemnot und verschleierter Sicht, bis ich schließlich in meinen Alltagstrott zurückfand.
Ich erwiderte ihre Umarmung herzhaft, roch Staub und Parfum in ihrem Haar. Sie trat einen Schritt zurück, schaute in mein Gesicht und verlangte sofort zu wissen: »Was ist los? Etwas ist anders als sonst.«
Ich lächelte entschuldigend. »Später«, vertröstete ich sie und wir wussten beide, es würde eins unserer Mitternachtsgespräche werden.
»Geh und wasch dich, du riechst wie mein Pferd.« Sie gab mir einen leichten Schubs, und ich wandte mich ab, um Harm zu begrüßen.
»Nun, Kleiner, wie ist es gewesen? War das Frühlingsfest so gut wie in Merles Geschichten?«
»Es war in Ordnung«, antwortete er gleichgültig. Für einen kurzen Moment schaute er mir voll ins Gesicht und seine verschiedenfarbigen Augen, eins braun, eins blau, waren voller Seelenqual.
»Harm?« Ich trat auf ihn zu, doch er drehte sich weg, bevor ich ihm die Hand auf die Schulter legen konnte.
Er machte Anstalten, sich wortlos in die Büsche zu schlagen, dann aber schien ihm wegen der mürrischen Begrüßung sein Gewissen zu plagen, denn er verkündete mit gepresster Stimme, als müsse er sich die Worte abringen: »Ich gehe runter zum Bach, um mich zu waschen. Ich bin voller Staub.«
Geh mit ihm. Ich weiß nicht, was er hat, aber er braucht einen Freund.
Vorzugsweise einen, der keine Fragen stellen kann, kommentierte Nachtauge. Mit hängendem Kopf und gestreckter Rute trottete er hinter dem Jungen her. Auf seine Weise liebte er Harm
Weitere Kostenlose Bücher