Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
dem Tier verschwistert?«
Ich kam mir vor wie ein Heuchler, Fragen zu stellen, auf die ich die Antwort bereits wusste. In Gedanken durchforschte ich die Träume der letzten fünfzehn Jahre, suchte diejenigen heraus, die mir durch ihre besondere Prägnanz im Gedächtnis geblieben waren. Einige davon hätten Episoden aus dem Leben des Prinzen sein können. Andere … Ich stutzte bei der Erinnerung an meinen Fiebertraum von Burrich – Nessel auch? Traumteilen mit Nessel? Dieser neue Aspekt ließ den Traum in einem anderen Licht erscheinen. Ich hatte die Ereignisse ausschließlich aus Nessels Perspektive gesehen. Ich hatte mittels der Gabe an diesem Moment ihres Lebens teilgenommen. Es bestand die Möglichkeit, dass wie bei Pflichtgetreu das Miterleben hüben wie drüben stattgefunden hatte. Was ein kostbarer Einblick in ihr Leben gewesen zu sein schien, ein Fenster zu Molly und Burrich, erwies sich nun als eine Ausbeutung von Wehrlosigkeit gegenüber meinem leichtsinnigen Umherschweifen mit der Gabe. Erschrocken verstärkte ich die Mauer um meine Gedanken. Wie hatte ich so unachtsam sein können? Wie viele meiner Geheimnisse hatte ich vor denen ausgebreitet, die besonders empfänglich dafür waren?
»Woher soll ich wissen, ob der Junge die Alte Macht besitzt?«, erwiderte Chade ungehalten. »Ich wusste es auch bei dir nicht, bis du es mir gesagt hast. Selbst dann begriff ich zuerst nicht, was es bedeutete.«
Plötzlich war ich müde, zu müde, um zu lügen. Wen versuchte ich zu schützen? Hatte ich nicht gelernt, dass Lügen niemals lange Bestand hatten. Dass sie zu guter Letzt der größte Riss in eines Mannes Rüstung waren? »Ich bin fast sicher, er besitzt die Alte Macht. Und ist verschwistert mit der Katze. Jedenfalls schließe ich das aus den Träumen, die ich gehabt habe.«
Mein alter Lehrer und Freund verfiel vor meinen Augen. Er schüttelte wortlos den Kopf und goss uns die Gläser voll. Ich leerte meines auf einen Zug, während er bedächtig und gedankenverloren nippte. Als er endlich das Wort ergriff, sagte er: »Ich hasse Ironie. Sie ist eine Fessel, die unsere Träume an unsere Ängste kettet. Ich hoffte, du hättest eine unterschwellige Verbindung mit dem Jungen, ein Band, welches dich in die Lage versetzt, ihn mittels der Gabe aufzuspüren. Und tatsächlich erfüllt sich meine Hoffnung, doch ist ein Pferdefuß dabei, denn gleichzeitig erfahre ich, dass meine schlimmste Befürchtung sich bestätigt: Die Alte Macht. Ach Fitz! Ich wünschte, ich könnte in der Zeit zurückgehen und bewirken, dass meine Ängste Larifari sind, die Hirngespinste eines alten Mannes.«
»Wer hat ihm die Katze gegeben?«
»Einer der Edlen. Es war ein Geschenk Er bekommt zu viele Geschenke. Alle buhlen um seine Gunst. Kettricken versucht, die besonders wertvollen Gaben zurückzuweisen; sie ist besorgt, dass sein Charakter Schaden nehmen könnte. Aber dies war nur eine kleine Jagdkatze – dennoch könnte sie das Geschenk sein, welches ihn ins Verderben stürzt.«
»Wer hat sie ihm geschenkt?«
»Ich werde in meinen Tagebüchern nachschauen müssen. Du kannst von einem alten Mann nicht erwarten, dass sein Gedächtnis frisch ist wie bei einem jungen. Ich tue mein Bestes, Fitz.« Sein vorwurfsvoller Blick sprach Bände. Wäre ich nach Bocksburg zurückgekehrt und hätte meinen Platz an seiner Seite eingenommen, wüsste ich alle Antworten. Das brachte mich auf eine neue Frage.
»Wo steht überhaupt dein Famulus in dieser Angelegenheit?«
Chade musterte mich abwägend. Nach einer Weile sagte er: »Er ist noch nicht bereit für Aufgaben wie diese.«
Ich hielt seinen Blick fest. »Erholt er sich vielleicht von einem, nun, einem Blitzschlag aus heiterem Himmel? Der einen unbenutzten Lagerschuppen in Brand gesetzt hat?«
Seine Lider zuckten, doch sein Gesicht blieb unbewegt. Sogar seine Stimme klang völlig ruhig. »Nein, FitzChivalric, diese Aufgabe musst du ganz allein bewältigen. Einzig du besitzt die Fähigkeiten, derer es bedarf.«
»Was genau erwartest du von mir?« Die Frage war so gut wie eine Kapitulation. Ich war seinem Ruf gefolgt, ohne Säumen. Er wusste, ich hing immer noch an seinen Fäden. Auch ich wusste es.
»Finde den Prinzen. Bring ihn uns wieder, unauffällig und, so Eda will, unbeschadet. Und tu es, solange die Erklärungen für seine Abwesenheit noch glaubwürdig klingen. Bring ihn zurück nach Hause, ehe die Gesandtschaft der Outislander eintrifft, um das Verlöbnis mit ihrer Prinzessin zu
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