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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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und plötzlich mit dem eigenen Abbild konfrontiert zu sein. Merle hatte Recht gehabt, musste ich mir eingestehen. Ich sah um einiges älter aus als ich war. Nachdem ich die erste Verblüffung überwunden hatte, musterte ich mich genauer und stellte überrascht fest, wie sehr meine Narbe verblasst war. Sie war immer noch zu erkennen, aber längst nicht mehr so auffallend wie im faltenlosen Antlitz meines jüngeren Ichs.
    Der Narr ließ mir Zeit, mich eine Weile schweigend zu betrachten, dann strich er mit beiden Händen mein Haar nach hinten. Ich blickte im Spiegel zu ihm auf. Er hatte die Unterlippe zwischen die Zähne geklemmt. Plötzlich legte er klappernd die Schere zurück auf den Tisch. »Nein«, sagte er mit Nachdruck. »Ich bringe es nicht über mich, das zu tun, und ich denke, es muss auch nicht sein.« Er holte tief Atem und band dann mein Haar wieder im Nacken zusammen. »Probier die Kleider an«, forderte er mich auf. »Ich musste die Größe raten, aber niemand erwartet bei einem Dienstmann Maßgeschneidertes.«
    Ich ging zurück in meine Kammer und schaute mir die Kleidungsstücke an, die am Fußende meiner Pritsche lagen. Sie waren aus dem üblichen blauen Tuch geschneidert, den die Diener in Bocksburg von jeher getragen hatten, gar nicht so verschieden von meinen Kleidern als Kind. Doch als ich sie anzog, den Kittel und die Hose, war es ein anderes Gefühl. Meine Tracht kennzeichnete mich für aller Augen als Knecht. Eine Verkleidung, sagte ich mir. Ich war nicht wirklich jemandes Diener. Mir kam der Gedanke, wie Molly sich gefühlt haben mochte, als sie zum ersten Mal das blaue Gewand einer Dienstmagd anlegte. Bastard oder nicht, ich war eines Prinzen Sohn. Ich hatte nie erwartet, je ein Knechtsgewand tragen zu müssen. Anstelle des Rehbocks der Weitseher war der Brustlatz mit dem goldenen Fasan des Fürsten Leuenfarb bestickt. Doch Kittel und Hose passten gut, und um der Wahrheit die Ehre zu geben gestand ich: »So gute Kleider habe ich seit Jahren nicht am Leib gehabt.« Der Narr schob den Kopf um den Türrahmen, um mich in Augenschein zu nehmen, und für eine Sekunde glaubte ich, Besorgnis in seinen Zügen zu lesen. Dann aber grinste er breit und ging langsam um mich herum, seinen neuen Diener.
    »So kann man dich unter die Leute lassen, Tom Dachsenbless. Bei der Tür stehen Stiefel, gut drei Fingerbreit länger als mein Fuß und auch breiter. Pack deine Sachen in die Truhe, für den Fall dass jemand sich bemüßigt fühlt, in unseren Räumen herumzuschnüffeln.«
    Ich befolgte eilig seinen Rat, während der Narr rasch sein eigenes Gemach aufräumte. Veritas’ Schwert kam unter die Kleider in meiner Truhe. Meine gesamte Garderobe reichte kaum aus, es zuzudecken. Die Stiefel passten so gut, wie man es von neuem Schuhwerk erwarten kann. Sie würden sich mit der Zeit einlaufen.
    »Den Weg zur Küche wirst du nicht vergessen haben. Man bringt mir mein Frühmahl gewöhnlich auf einem Tablett in meine Gemächer, die Küchenjungen werden froh sein, dass du ihnen den Weg abnimmst. Vielleicht ergibt sich dadurch die Gelegenheit zu einem Schwätzchen über den neusten Klatsch und Tratsch.« Er überlegte. »Sag ihnen, ich hätte gestern Abend kaum etwas zu mir genommen und wäre heute Morgen sehr hungrig. So kannst du genug bringen für uns beide.«
    Es war ein merkwürdiges Gefühl dazustehen und Anweisungen zu bekommen, was man tun sollte, aber ich sagte mir, dass ich mich daran gewöhnen musste. Also verneigte ich mich und sagte: »Sehr wohl, Herr«, bevor ich mich im Rückwärtsgang zur Tür bewegte. Der Narr wollte lächeln, besann sich rechtzeitig, und Fürst Leuenfarb entließ mich mit einem gnädigen Kopfnicken.
    Außerhalb seiner Gemächer herrschte in der Burg rege Geschäftigkeit. Dienerscharen waren emsig bei der Arbeit, steckten frische Kerzen auf und fegten schmutzige Binsen zusammen, eilten mit frischem Leinenzeug oder schleppten Eimer mit heißem Wasser zum Bad durch die Gänge. Vielleicht lag es an meinem neuen Blickwinkel, doch wollte mir scheinen, dass es jetzt in der Burg viel mehr dienstbare Geister gab als früher. Nicht nur das hatte sich verändert. Überall machte sich Königin Kettrickens Einfluss bemerkbar. In den Jahren ihrer Regentschaft hatte die Burg eine gründliche Reinigung, Entrümpelung und Umgestaltung erfahren. Eine lichte Einfachheit kennzeichnete die Räume, an denen ich vorüberging, und ersetzte den Überflusses an plüschigem Schnickschnack. Die Tapisserien und

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