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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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indem man das Ärgernis ausmerzte? Und hatte der Schreiber sich auch mit dem Prinzen in Verbindung gesetzt?
    Auf Chades alter Werkbank fand ich die Diebshaken, die ich für mein Abenteuer zur Mittagsstunde benötigte. Pflichtgetreu bewohnte Prinz Edels ehemalige Prunkgemächer. Das betreffende Türschloss und ich waren alte Bekannte und ich rechnete damit, es ohne Mühe öffnen zu können. Während man im Palas zu Tisch saß, verfügte ich mich zu den prinzlichen Gemächern. Auch hier merkte man den Einfluss seiner Mutter, denn nicht nur stand keine Wache vor der Tür, sondern diese war zudem unverschlossen. Ich schlüpfte hindurch und drückte sie leise hinter mir zu. Dann schaute ich mich staunend um. Ich hatte in etwa das gleiche Durcheinander erwartet, wie Harm es um sich zu verbreiten pflegte. Stattdessen waren die spärlichen Habseligkeiten des jungen Prinzen dermaßen penibel aufgeräumt, dass der große Raum fast leer wirkte. Vielleicht hatte er einen ordnungsbesessenen Kammerdiener? Andererseits, eingedenk der Art, wie Kettricken aufgewachsen war, fragte ich mich, ob der Junge überhaupt einen persönlichen Diener hatte. Derlei Annehmlichkeiten waren in den Bergen verpönt.
    Die Durchsuchung des Zimmers nahm nur sehr wenig Zeit in Anspruch. In den Truhen fand sich ein bescheidenes Sortiment von Kleidungsstücken; ob welche fehlten konnte ich nicht beurteilen. Seine Reitstiefel waren da, aber Chade hatte mir bereits gesagt, dass des Prinzen Ross noch im Stall stand. Er besaß eine hübsche Garnitur aus Bürste, Kamm, Waschschüssel und Spiegel, alles säuberlich nebeneinander aufgereiht. Im Studierzimmer war das Tintenfass fest verschlossen, und die Tischplatte hatte nie Klecksereien oder andere freche Misshandlungen erdulden müssen. Keine Schriftrollen lagen herum. Sein Schwert hing an der Wand, aber es gab leere Haken, an denen sonstige Waffen gehangen haben konnten. Nirgends persönliche Briefe, keine Bänder oder Haarlocken in einem Winkel des Kleiderkastens, nicht einmal ein klebriges Weinglas oder ein achtlos unter das Bett geworfenes Hemd. Kurz gesagt, ich fühlte mich nicht wie im Schlafgemach eines Jungen im besten Trotz-und Flegelalter.
    Dicht beim Kamin stand ein stabiler Weidenkorb mit einem dicken Polster. Die Haare, die an dem Stoff hafteten, waren kurz, aber seidig. Das feste Korbgeflecht trug die Spuren scharfer Krallen. Ich brauchte nicht die Nase des Wolfs, um den Katzengeruch im Zimmer wahrzunehmen. Ich hob das Polster hoch und fand darunter Spielzeug: einen Kaninchenbalg an einer dicken Schnur und ein mit Katzenminze gefülltes Leinenkissen. Ich hob die Augenbrauen über die Entdeckung und fragte mich, ob Jagdkatzen genauso wild darauf waren wie unsere kleineren Mäusefänger.
    Sonst waren die Räumlichkeiten unergiebig: kein Tagebuch mit prinzlichen Gedankenergüssen, kein Abschiedsbrief eines trotzigen Knaben an seine Mutter, nichts, was darauf hinwies, dass er gegen seinen Willen weggebracht worden war. Ich ging und hinterließ alles genauso, wie ich es vorgefunden hatte.
    Mein Weg führte mich an der Tür meines alten Zimmers vorbei. Ich blieb stehen. Wer bewohnte es jetzt? Der Flur war leer, und ich gab der Versuchung nach. Das Schloss an der Tür hatte ich seinerzeit selbst angebracht, und es bedurfte meiner gesamten eingerosteten Fähigkeiten, um es aufzubringen. Es war so schwergängig, dass sich seit langem kein Schlüssel mehr darin gedreht haben konnte. Ich machte die Tür hinter mir zu und stand still, Staubgeruch in der Nase. Die Läden waren vorgelegt, aber wie schon zu meiner Zeit, schlossen sie nur lückenhaft. Durch Ritzen und Spalten sickerte Tageslicht, und nach wenigen Sekunden hatten sich meine Augen an das Halbdunkel gewöhnt. Ich schaute mich um. Meine Bettstatt. Spinnweben schmückten die altvertrauten Vorhänge. Die Kleidertruhe aus Zedernholz am Fußende trug eine dicke Staubschicht. Der Kamin: leer, schwarz, kalt. Darüber der verblasste Wandteppich von König Weise bei Verhandlungen mit den Uralten. Ich betrachtete ihn. Als Junge hatte er mir Albträume beschert. Später hatte sich mir das Rätsel der eigenartig langgezogenen Gestalten gelöst. Die goldenen Uralten schauten hinunter in den leblosen, leeren Raum.
    Plötzlich war mir zumute, als hätte ich eine Gruft entweiht. So leise wie ich eingetreten war, ging ich hinaus und verriegelte hinter mir die Tür.
    Ich hatte damit gerechnet, meinen Herrn in seinen Gemächern anzutreffen, doch im Salon war er nicht.

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