Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
Wort. Lass es nicht los, lass es nicht verwehen wie den Rest des Traums.
»Tosen!«
Ich saß aufrecht in meinem Bett in der stickigen Dunkelheit und das Wort dröhnte in meinen Ohren. Das Hemd klebte mir schweißnass an der Haut und die Kopfschmerzen vom Gebrauch der Gabe waren mit Pauken und Trompeten zurückgekehrt. Unwichtig. Ich rollte aus dem Bett und tastete mit ausgestreckten Händen nach den unsichtbaren Mauern.
»Tosen«, wiederholte ich laut, damit das Wort mir nicht entschlüpfte. »Prinz Pflichtgetreu jagt in der Nähe von Burg Tosen.«
Kapitel 14 · Laurel
Als Baumaterial erfreute sich bei den Uralten ein besonderer schwarzer Stein, oft von feinen weißen oder silbernen Adern durchzogen, großer Beliebtheit. In den kaum erforschten Gebieten hinter dem Königreich in den Bergen kennt man einen Steinbruch, wo in großem Ausmaß Tagebau betrieben wurde, doch es gilt als sicher, dass weitere Vorkommen existieren. Wie sonst ließe sich erklären, dass man an weit davon entfernten Orten gewaltige Bauten aus diesem Stein findet.
Für die an bestimmten Wegekreuzen von den Uralten aufgerichteten Obelisken lieferten die Steinbrüche riesige Monolithen, und aus der Beschaffenheit der von den Uralten angelegten Straßen kann man schließen, dass auch dabei dieses Gestein, gemahlen oder geschrotet, Verwendung fand.
Wo immer die Uralten bauten, war dieser Stein das bevorzugte Material und sogar an Orten, die sie nur sporadisch besucht zu haben scheinen, finden sich Monumente daraus. Eine genaue Untersuchung der Zeugensteine von Bocksburg wird den Wissenshungrigen davon überzeugen, dass sie, wenn auch verwittert und möglicherweise von Menschen vergangener Zeiten mutwillig beschädigt, von der gleichen Art sind wie jene Obelisken und Bauwerke. Es gibt Stimmen, die behaupten, dass die Zeugensteine von Bocksburg und andere ›Schwursteine‹ überall in den Sechs Provinzen ursprünglich zu einem ganz anderen Zweck von den Uralten errichtet wurden.
Ich erwachte in dem großen Pfostenbett in Chades Turmgemach und erlebte einige Augenblicke der Verwirrung, bevor ich entschied, dass es sich nicht um einen neuen Traum handelte. Alles war irgendwie verschwommen, ich konnte mich nur erinnern, dass ich mich für einen Moment auf die Bettkante gesetzt hatte. Bekleidet war ich immer noch mit dem Zeug von gestern.
Ich richtete mich vorsichtig auf, das dröhnende Hämmern in meinem Kopf hatte sich zu einem monotonen Pochen gemildert. Außer mir war niemand im Raum, aber neben dem Kamin dampfte Waschwasser und eine kleine, zugedeckte Schüssel mit Haferbrei stand auf der Einfassung warm. Sobald ich diese Dinge entdeckte, machte ich Gebrauch davon. Mein Magen mochte immer noch keine Nahrung annehmen, doch ich aß stoisch die Schüssel leer – es konnte nur besser werden. Ich wusch mich, setzte Teewasser auf und schlenderte dann hinüber zur Werkbank. Eine große Karte der Sechs Provinzen lag darauf ausgebreitet, die Ecken beschwert mit einem Mörser, zwei Stößeln und einem Teebecher. Auf der Karte selbst stand ein umgedrehtes Wasserglas. Als ich es aufhob, entdeckte ich Tosen darunter. Es lag an einem Nebenarm des Bocksflusses, von uns aus gesehen auf dessen anderer Seite und im Nordwesten. Ich war noch nie dort gewesen. Als ich in meinem Gedächtnis nachforschte, was ich über Tosen wusste, war ich schnell fertig. Gar nichts.
Die Alte Macht signalisierte mir Chades Kommen, und ich drehte mich um, als die Geheimtür aufging. Er trat schwungvoll ein. Die obere Hälfte seiner Wangen war morgenrosig, sein weißes Haar glänzte silbern. Nichts belebte diesen gewieften Politikus so sehr wie eine pflückfrische Intrige. »Aha, du bist auf. Wunderbar«, begrüßte er mich. »Ich konnte ein Dejeuner unter vier Augen mit Fürst Leuenfarb arrangieren, obgleich sein Diener, der pflichtvergessene Kerl, nicht zu finden war. Seine Gnaden versicherte mir, er könne in wenigen Stunden bereit zum Aufbruch sein. Er hat sich bereits einen Vorwand für die Reise ausgedacht.«
»Was?«, fragte ich verständnislos.
Chade lachte laut auf. »Vogelfedern, ausgerechnet. Fürst Leuenfarb pflegt eine Reihe extravaganter Liebhabereien, aber seine jüngste Passion sind Federn. Je größer und bunter desto besser. Tosen liegt dicht bei einem bewaldeten Hochland, welches berühmt ist für seinen Reichtum an Fasanen, Rebhühnern und Wimpelträgern. Letztere besitzen ein ungewöhnlich farbenprächtiges Gefieder und auffällige Schwanzfedern. Er hat
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