Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich habe welchen in meinem Rucksack in der Kammer unten.« Ich sammelte meine Willenskraft, um aus dem Sessel hochzukommen.
    Ein Moment des Schweigens. Dann gestand er widerwillig: »Du hattest welchen in deinem Rucksack unten in der Kammer. Er ist weg. Genau wie das Carryme, das dabei war.«
    Ich nahm das Tuch von der Stirn und funkelte ihn an. Die Schmerzen schürten meine Wut. »Dazu hast du kein Recht! Wie kannst du es wagen!«
    Er kniff die Lippen zusammen. »Ich wage alles, was die Not verlangt. Und die Not ist groß.« Seine grünen Augen bohrten sich in die meinen. »Der Thron bedarf dieser Fähigkeit, die nur du besitzt. Ich werde nicht zulassen, dass irgendetwas deine Gabe beeinträchtigt.«
    Er durchbohrte mich mit seinem Blick, aber ich konnte ihn kaum noch ansehen. Licht umwaberte ihn, stach wie mit Nadeln in mein Gehirn. Nur ein allerletzter Rest Selbstbeherrschung hinderte mich daran, ihm die Kompresse ins Gesicht zu schleudern. Als ahnte er, was in mir vorging, nahm er mir das Tuch ab und hielt mir ein frisches hin. Es war eine kümmerliche Linderung, aber ich legte es mir auf die Stirn und lehnte mich zurück. Ich hätte am liebsten geweint vor Enttäuschung und ohnmächtigem Zorn. Unter der Kompresse hervor sagte ich: »Schmerz. Das bedeutet es für mich, ein Weitseher zu sein. Schmerz, und dass man mich benutzt.«
    Er gab keine Antwort. Das war von jeher seine wirksamste Strafe gewesen, das Schweigen, das mich zwang, meinen eigenen Worten nachzuhorchen. Als ich das Tuch von der Stirn nahm, hielt er ein frisches bereit. Während ich es auf meine Augen drückte, sagte er milde: »Schmerz und benutzt werden, davon habe ich als Weitseher auch mein Teil gehabt. Wie Veritas und Chivalric und vor ihnen Listenreich. Aber du weißt, ein Weitseher zu sein bedeutet noch mehr. Wüsstest du es nicht, wärst du nicht hier.«
    »Mag sein«, gab ich widerwillig zu. Die Erschöpfung gewann die Oberhand. Ich hatte keinen anderen Wunsch, als mich um den Schmerz zusammenzurollen und zu schlafen, aber ich kämpfte dagegen an. »Mag sein, dass es noch mehr bedeutet, aber nicht genug. Nicht genug als Ausgleich für das hier.«
    »Was verlangst du noch, Fitz? Weshalb bist du gekommen, als ich dich gerufen habe?«
    Ich wusste, es war eine rhetorische Frage, aber das schlechte Gewissen quälte mich schon zu lange. Die Antwort lag mir auf der Zunge und die Schmerzen machten mich unvorsichtig. Ich hob eine Ecke des Tuchs, um ihn anzuschauen. »Ich habe mich darauf eingelassen, weil ich eine Zukunft haben will. Nicht für mich, aber für meinen Ziehsohn. Für Harm. Chade, ich habe alles falsch gemacht. Nichts habe ich ihm beigebracht, wie man kämpft nicht und nicht wie man sich seinen Lebensunterhalt verdient. Ich muss für ihn eine Lehrstelle kaufen, bei einem angesehenen Meister. Gindast. Ihn hat er sich ausgesucht. Er möchte Schreiner werden, und ich hätte das vorhersehen müssen und Geld auf die hohe Kante legen, aber ich habe es versäumt. Und da ist er nun, in einem Alter, wo man sich auf eigene Füße stellt, und ich habe ihm nichts mitzugeben. Was ich gespart habe, reicht nicht, um …«
    »Ich kann das einrichten«, unterbrach Chade in ruhigem Ton meine Tirade, dann fragte er fast zornig: »Hast du daran gezweifelt, dass ich dir helfen würde?« Etwas in meinem Gesicht muss mich verraten haben, denn er beugte sich vor und fuhr mich an: »Du hast geglaubt, du musst dich uns zur Verfügung stellen, damit du das Recht hast, mich um Hilfe zu bitten, richtig?« Er hatte das feuchte Tuch noch in der Hand, jetzt warf er es in einer Aufwallung von Ärger klatschend auf den Boden. »Fitz, du …«, fing er an, dann fehlten ihm die Worte. Er richtete sich auf und kehrte mir den Rücken zu. Ich dachte, er würde aufgebracht hinausstürmen, doch er ging nur in die andere Hälfte des Gemachs mit der Werkbank und dem unbenutzten Kamin. Er wanderte langsam um den Tisch herum, betrachtete die Dinge, die darauf lagen und ließ dann den Blick über die Regale gleiten, als suchte er etwas, das er verlegt hatte. Ich faltete die zweite Kompresse neu und hielt sie mir an die Stirn, dabei beobachtete ich ihn verstohlen unter der Hand hinweg. Eine ganze Weile herrschte Schweigen zwischen uns.
    Als er zu mir zurückkehrte, wirkte er gefasst, aber auch auf eine schwer beschreibbare Weise gealtert. Er nahm ein frisches Tuch aus der Tonschale, wrang es aus, faltete es zu einem länglichen Streifen und

Weitere Kostenlose Bücher