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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Ziel kennen, während wir Zeit aufwenden müssen, um ihre Spur nicht zu verlieren.« Sie legte den Kopf schräg und musterte mich über das kleine Feuer hinweg. »Woher hast du gewusst, wo du die Straße verlassen musst, um auf ihre Fährte zu stoßen?«
    Ich holte tief Luft und sprach die erstbeste Lüge aus, die mir in den Sinn kam. »Reines Glück. Ich hatte so ein Gefühl, sie könnten diese Richtung eingeschlagen haben, und dann fand ich ihre Spur und mir fiel ein Stein vom Herzen, weil ich gar nicht sicher gewesen war.«
    »Und dein Hund hatte auch so ein Gefühl, weshalb er dir vorausgelaufen ist?«
    Ich schaute sie nur an. Die Worte drängten sich mir ohne mein Zutun auf die Lippen. »Vielleicht bin ich einer mit der Alten Macht.«
    »Aber ja«, antwortete sie sarkastisch. »Und deshalb hat die Königin dich dazu bestimmt, ihren Sohn zurückzuholen. Weil du einer von denen bist, die sie am meisten fürchtet. Du bist kein Zwiehafter, Tom Dachsenbless. Ich habe meine Erfahrungen mit Zwiehaften, ich habe ihre Zurückweisung ertragen und ihren Hochmut gegenüber solchen, die nicht ihrer Magie teilhaftig waren. Wo ich aufgewachsen bin, gab es viele von ihnen und damals machten sie kein Geheimnis daraus. Du bist ebenso wenig ein Zwiehafter wie ich, dafür aber einer der besten Fährtenleser, mit denen ich je geritten bin.«
    Ich dankte ihr nicht für das Kompliment. »Erzähl mir von den Zwiehaften, mit denen du aufgewachsen bist.« Bevor ich mich hinlegte, zog ich meine Decke sorgfältig glatt, dann machte ich mich lang und verschränkte die Arme unter dem Kopf; die Lider schloss ich bis auf einen kleinen Spalt, als wäre ich nur beiläufig an ihrer Geschichte interessiert. Der fast volle Mond schaute durch die Bäume auf uns hinunter. Nachtauge, an der Grenze zwischen Dunkelheit und Feuerschein, leckte mit pedantischer Gründlichkeit sein Fell sauber. Laurel machte sich mit ihrer eigenen Decke zu schaffen, räumte kleine Steine darunter hervor, breitete sie aus und legte sich hin. Auch dann schwieg sie noch, und ich dachte schon, sie würde nicht antworten.
    Dann: »Ach, eigentlich waren sie gar nicht so schlimm. Nicht so, wie die Leute erzählen. Sie haben sich nicht bei Vollmond in Bären verwandelt oder Rehe oder Robben, sie aßen kein blutiges Fleisch und raubten keine kleinen Kinder. Trotzdem waren sie schlimm genug.«
    »Wieso?«
    »Nun ja …« Sie zögerte. »Es war einfach nicht gerecht«, sagte sie endlich seufzend. »Wenn du nie sicher sein kannst, dass du wirklich allein bist, denn irgendein kleiner Vogel oder ein Fuchs im Unterholz könnte Aug’ und Ohr deines Nachbarn sein. Sie hatten große Vorteile von ihrer Alten Macht, denn ihre Geschwistertiere meldeten ihnen, wo das Wild stand oder wo die ersten Beeren reiften.«
    »Derart unverhohlen bedienten sie sich ihrer Magie? Von so einem Ort habe ich nie gehört.«
    »Das Schlimmste war nicht, dass sie zeigten, was sie waren, sondern dass sie mich wegstießen, weil ich es nicht war. Kinder sind nicht sehr rücksichtsvoll.«
    Die Bitterkeit in ihrer Stimme war bestürzend. Mir fiel ein, wie verächtlich Galens Auserwählte mich behandelt hatten, als es aussah, als würde ich die Kunst, von der Gabe Gebrauch zu machen, nicht meistern können. Ich versuchte, mir auszumalen, wie es sein musste, von Kind an mit diesem Gefühl der Unzulänglichkeit heranzuwachsen. Dann fiel mir noch etwas ein. »Ich dachte, dein Vater wäre Jagdmeister bei Lord Sitzwohl gewesen. Bist du nicht auf seinen Gütern aufgewachsen?« Ich wollte wissen, wo dieser Ort lag, an dem Zwiehafte so alltäglich waren, dass ihre Kinder die Alte Macht bei ihren Spielgefährten als selbstverständlich voraussetzten.
    »Oh. Nun, das war später.«
    Ich wusste nicht genau, ob sie jetzt log oder vorher gelogen hatte, nur dass die Unwahrheit greifbar zwischen uns in der Luft hing. Dementsprechend unangenehm war das Schweigen, das ihren Worten folgte. Mein Verstand sprang von einer Möglichkeit zur nächsten. Dass sie selbst eine mit der Alten Macht war oder ein Kind ohne die Alte Macht in einer Familie mit zwiehaften Geschwistern oder Eltern, dass sie die ganze Mär erfunden hatte, dass es in Lord Sitzwohls Haus von Zwiehaften wimmelte, womöglich der Lord selbst einer vom Alten Blut war. Diese Spekulationen waren nicht vollkommen müßig. Sie bereiteten das Bewusstsein darauf vor, mögliche weitere Informationen, die sie preisgab, der entsprechenden Alternative zuzuordnen. Ein früheres

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