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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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ich das Leben meines Wolfs und meines Freundes eingetauscht. Der jämmerlichste Handel, den ich je gemacht hatte. Es ging auch um Nessel, sagte ich mir. Solange er lebte, war sie in Sicherheit. Erbe der Weitseher oder nicht, es war der einzige Wert, den ich momentan in ihm erkennen konnte.
    Ich bin enttäuscht von meinem Sohn.
    Ich überprüfte diesen Gedanken und musste mich berichtigen. Pflichtgetreu war nicht mein Sohn, und da ich mich nie an seiner Erziehung beteiligt hatte, hatte ich auch nicht das Recht, im Zusammenhang mit ihm Enttäuschung oder Stolz zu empfinden. Ich stand auf und ging weg. Ich überließ dem Wolf in mir das Regiment, und er erinnerte mich an die Notwendigkeit, für die grundlegenden körperlichen Bedürfnisse zu sorgen. Der Wind vom Meer war böig und kalt und schlug mir die nassen Kleider um die Glieder. Holz suchen, ein Feuer in Gang bringen, wenn möglich. Trocknen. Gleichzeitig nach Essbarem Ausschau halten. Sich mit schwarzen Gedanken zu quälen, was Nachtauge widerfahren sein mochte oder dem Narren, war sinnlos. Wir hatten immer noch auflaufendes Wasser, die nächste Ebbe fiel also in die Nachtstunden und mit der darauf folgenden war erst irgendwann am nächsten Vormittag zu rechnen. Ich musste mich damit abfinden, dass ich fast einen ganzen Tag warten musste, bis ich – vielleicht – die Gelegenheit fand, zu meinen Freunden zurückzukehren. Bis dahin hieß es, Kräfte sammeln und ausruhen.
    Ich schaute über das grasbewachsene Tafelland zu dem Wald dahinter. Die Bäume waren noch sommergrün, dennoch hatte ich den Eindruck eines ungastlichen Ortes ohne Leben. Ich beschloss, dass es Zeitverschwendung war, den weiten Weg zu machen, nur um vielleicht festzustellen, dass es dort kein Wild gab. Und selbst wenn, hatte ich nicht das Herz, etwas zu jagen und totzuschlagen. Das kleine Strandgetier würde für unsere Mahlzeit herhalten müssen.
    Nicht der weiseste Entschluss bei steigender Flut. Wenigstens gab es Treibholz, von einer früheren Sturmflut hoch auf den Strand geworfen, weit oberhalb der normalen Flutgrenze. Miesmuscheln und andere Schalentiere waren allerdings schon vom Wasser bedeckt. Ich wählte einen Platz, wo die Klippen in die Ebene übergingen, einen einigermaßen windgeschützten Fleck, und brachte ein kleines Feuer in Gang. Sobald es brannte, entledigte ich mich der durchweichten Stiefel, zog mir Socken und Hemd vom Leib und wrang alles gründlich aus. Ich hängte die Kleidungsstücke auf ein improvisiertes Gerüst dicht beim Feuer und steckte die Stiefel zum Trocknen auf zwei in den Boden gerammte Stöcke. Das getan, saß ich am Feuer und schlang mir gegen die schleichende Kälte des sich neigenden Tages die Arme um den Leib. Ohne viel Hoffnung spürte ich wieder hinaus. Nachtauge?
    Keine Antwort. Das wollte nichts heißen, beruhigte ich mich. Falls es ihm und dem Narren gelungen war zu entkommen, würde er sich hüten, mir zu antworten und womöglich die Gescheckten auf sich aufmerksam zu machen. Es sagte mir also lediglich, dass er bewusst schwieg. Oder es sagte mir, dass er tot war. Ich umarmte mich fester. Nicht an so etwas denken, wenn mir nicht vor Gram das Herz zerspringen sollte. Der Narr hatte mir aufgetragen, dafür zu sorgen, dass Prinz Pflichtgetreu am Leben blieb. Das würde ich tun. Und die Gescheckten konnten nicht wagen, meine Freunde zu töten. Sie würden erfahren wollen, welche Zauberei ihnen den Prinzen entführt hatte, wie es möglich war, dass er vor ihren Augen verschwand.
    Was würden sie dem Narren antun, um die gewünschte Auskunft zu erhalten? Nicht daran denken!
    Widerwillig stand ich auf, um nach dem Jungen zu sehen.
    Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt, seit ich weggegangen war. Ich trat von hinten an ihn heran, und als er es nicht einmal für nötig hielt, den Kopf zu wenden, stieß ich ihn grob mit dem Fuß an. »Ich habe Feuer gemacht!«, sagte ich schroff.
    Er reagierte nicht.
    »Prinz Pflichtgetreu?« Ich konnte die Häme nicht aus meiner Stimme heraushalten. Keine Bewegung.
    Ich ging neben ihm in die Hocke und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Pflichtgetreu.« Ich beugte mich vor, um ihm ins Gesicht zu schauen.
    Er war nicht da.
    Seine Züge waren schlaff, die Augen leer. Sein Mund stand ein wenig offen. Ich tastete nach unserem dünn gewordenen Gabenband. Es war, als holte man eine gerissene Angelschnur ein. Kein Widerstand oder auch nur das Gefühl, dass am anderen Ende einmal jemand gewesen war.
    Das furchtbare Echo

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