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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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einer vor langer Zeit gelernten Lektion hallte durch meinen Kopf. »Lässt du dich von der Gabe überwältigen, widerstehst du nicht ihrer Verlockung, dann kann die Gabe sich deiner bemächtigen und wird dein Selbst aufzehren, und du wirst ein lallender Idiot, der nichts sieht, nichts hört …« Mir sträubten sich die Nackenhaare. Ich schüttelte den Prinzen, aber mit dem einzigen Erfolg, dass sein Kopf haltlos hin und her pendelte. »Verdammt möge ich sein!«, schrie ich zum Himmel hinauf. Ich hätte vorhersehen müssen, dass er versuchen würde, zu der Katze hinauszugreifen. Ich hätte wissen müssen, dass so etwas passieren konnte.
    Ruhe bewahren. Ich stand auf, bückte mich, nahm seinen Arm und zog ihn mir um die Schultern. Dann legte ich meinen Arm um seine Taille und hievte ihn hoch. Auf dem Weg den Strand entlang, zogen seine Stiefelspitzen Furchen in den Sand. Neben dem Feuer ließ ich ihn zu Boden gleiten. Er kippte zur Seite.
    In den folgenden Minuten beschäftigte ich mich damit, die Flammen mit in der Nähe liegendem Treibholz zu schüren, bis sie heiß und hoch in die Dämmerung schlugen. Zum Teufel damit, wen oder was sie vielleicht anlockten. Mein Hunger und meine Erschöpfung waren vergessen. Ich zerrte dem Prinzen die Stiefel von den Füßen, schüttete sie aus und stellte sie umgekehrt zum Trocknen hin. Ich schälte ihm das nasse Hemd vom Körper und hängte es auf. Währenddessen redete ich auf ihn ein, beschimpfte und verfluchte ihn zuerst, doch nicht lange und ich beschwor ihn, mir zu antworten. Er ließ mit keiner Miene erkennen, dass er mich überhaupt hörte. Seine Haut fühlte sich kalt an. Ich bugsierte ihn irgendwie in mein angewärmtes Hemd hinein und massierte seine Arme, aber seine Regungslosigkeit lud die Kälte förmlich ein, von seinem Körper Besitz zu ergreifen. Mehr und mehr schien sie das Leben aus ihm zu verdrängen. Man merkte es nicht daran, dass sein Atem schwerer ging oder sein Herzschlag sich verlangsamte. Mit der Alten Macht war er immer weniger wahrzunehmen, als ob er sich von mir entfernte.
    Endlich setzte ich mich hinter ihn, lehnte ihn an meine Brust und legte die Arme um ihn, in dem vergeblichen Bemühen, ihn zu wärmen. »Pflichtgetreu«, sagte ich an seinem Ohr. »Komm zurück, Junge. Komm zurück. Da ist ein Thron, der auf dich wartet und ein Königreich, das regiert sein will. Du kannst dich nicht einfach so davonschleichen. Komm zurück. Es kann doch nicht alles umsonst gewesen sein. Der Narr und Nachtauge gestorben für nichts. Was soll ich Kettricken sagen? Was wird Chade zu mir sagen? Gute Götter, was würde Veritas zu mir sagen, wenn er hier wäre?«
    Es war nicht so sehr, was Veritas zu mir gesagt haben würde, sondern was er für mich getan hätte. Ich hielt seinen Sohn eng an mich gedrückt und legte mein Gesicht an seine bartlose Wange. Ich nahm einen tiefen Atemzug und senkte all meine Schutzwehren. Ich schloss die Augen und glitt auf der Suche nach ihm in den Gabenfluss.
    Fast hätte ich mich selbst verloren.
    Zu manchen Zeiten hat die Gabe sich mir entzogen, verweigert; zu anderer Zeit, an anderem Ort erlebte ich sie als einen brausenden Strom der Macht, wild und unwiderstehlich. In meiner Jugend wäre ich einmal fast von dem Strom mitgerissen worden und darin vergangen, nur Veritas’ Eingreifen bewahrte mich vor diesem Schicksal. Seither war ich stärker und sicherer geworden. Hatte ich geglaubt. Diesmal fühlte es sich an, als tauchte ich in eine reißende Strömung der Gabe. Nie zuvor hatte ich sie so stark und lockend gespürt. In meiner gegenwärtigen Gemütsverfassung erschien sie mir als die perfekte und vollkommene Antwort auf alles. Lass einfach los. Hör auf, diese Person Fitz zu sein, gefangen in einem von Kämpfen zernarbten Körper. Hör auf, dich mit Reue über den Tod deiner engsten Freunde zu geißeln. Die Gabe offerierte mir die Möglichkeit einer Existenz ohne zu denken. Es war nicht die Versuchung des Selbstmörders, der enden will und die Welt für sich zum Stillstand bringt. Dies war viel verführerischer. Verändere die Form deines Seins und lass all diese Sorgen hinter dir. Werde eins mit dem Fließen, vergehe im Strom.
    Hätte ich nur an mich selbst zu denken gehabt, wäre ich der Versuchung erlegen. Aber der Narr hatte mir aufgetragen, dafür zu sorgen, dass sein Tod nicht vergeblich wäre, und mein Wolf hatte mich gebeten, für ihn weiterzuleben und eines Tages Nessel von ihm zu erzählen. Kettricken hatte mich angefleht,

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