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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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ihr den Sohn wiederzubringen. Chade vertraute auf mich. Und Harm. Deshalb kämpfte ich in den brodelnden Strudeln darum, ich selbst zu bleiben. Ich weiß nicht, wie lange. Zeit hat keine Bedeutung an jenem Ort. Schon allein darin liegt eine der Gefahren der Gabe. In einem Winkel meines Gehirns wusste ich, dass ich einen gefährlichen Raubbau mit meinen Kräften trieb, doch unter dem Bann der Gabe ist es schwer, in Begriffen der Wirklichkeit zu denken.
    Nachdem ich mir meiner selbst wieder sicher war, griff ich vorsichtig hinaus, tastete nach Spuren von Pflichtgetreu.
    Ich hatte angenommen, es wäre leicht, ihn zu finden. In der Nacht zuvor war es mir ganz ohne Mühe gelungen. Ich hatte nur seine Hand berührt, und schon konnte ich ihm auf seinen Gabenpfaden folgen. Diesmal, obwohl ich wusste, dass ich irgendwo seinen kältestarren Körper umfangen hielt, konnte ich ihn nicht entdecken. Die Art, wie ich nach ihm suchte, ist schwer begreiflich zu machen. Die Gabe ist nicht wirklich ein Ort oder eine Zeit. Existenz ohne die Grenzen eines Selbst: So, glaube ich manchmal, könnte man den Zustand beschreiben. Zu anderen Zeiten erscheint mir die Definition zu beschränkt, denn ›Selbst‹ ist nicht der einzige Rahmen für unseren Begriff von Sein.
    Ich öffnete mich der Gabe und ließ sie durch mich hindurchströmen wie Wasser durch ein Sieb, und immer noch entdeckte ich keine Spur des Gesuchten. Ich streckte mich unter den Strom der Gabe wie ein Wiesenhang voller kleiner Gräser im Sonnenschein und ließ sie über jeden meiner Halme streichen, und immer noch konnte ich ihn nicht spüren. Ich sandte tausend Ranken aus, durchwob die Gabe wie Efeu, und immer noch konnte ich den Prinzen nicht aus dem Strom der anderen filtern.
    Er hatte eine Ahnung von sich hinterlassen, doch im Sog der Gabe verwehten diese Spuren zu namenloser Spreu. Ich sammelte davon so viel ich fassen konnte, doch es war ebenso wenig Prinz Pflichtgetreu wie der Duft einer Blume die Blume ist. Dennoch haschte ich die Partikel, die ich erkannte und hielt sie verbissen fest. Je länger das ging, desto schwerer fiel es mir, mich daran zu erinnern, wie die Essenz des Prinzen beschaffen war. Ich kannte ihn erst seit kurzem und nicht besonders gut und der Körper, den mein Körper festhielt, verlor rapide die Verbindung zu dem Geist, der ihn beseelte.
    In dem Bemühen, den Jungen zu finden, löste ich mich von allen Sicherungen, an die ich mich sonst beim Gebrauch der Gabe geklammert hatte. Es war ein unheimliches Gefühl. Ich war ein Drachen, der mit gerissener Schnur durch den Himmel taumelte, ein winziges Boot ohne eine Hand, die das Ruder führte. Ich hatte nicht das Wissen um mein Selbst verloren, aber ich opferte die Garantie, den Weg in meinen Körper wiederzufinden. Doch es half mir nicht bei der Suche nach Pflichtgetreu, mir wurde nur die Unermesslichkeit bewusst, in der ich schwebte, und die Hoffnungslosigkeit meines Unterfangens. Es wäre einfacher gewesen, mit einem Netz den Rauch eines gelöschten Feuers einzufangen, als den Jungen wieder vollständig zu machen.
    Und während der ganzen Zeit zupfte die Gabe an mir, raunte und wisperte Versprechungen. Sie war nur kalt und unbeherrschbar, solange ich ihr widerstand. Sobald ich mich ergab, würde sie mir Wärme sein, Trost und Heimat. Wenn ich mich ihr unterwarf, erwartete mich eine friedvolle Existenz ohne individuelles Bewusstsein. Was war daran so schrecklich? Nachtauge und der Narr waren dahin. Mit meiner Mission, Kettricken den Sohn zurückzubringen, war ich gescheitert. Molly brauchte mich nicht; sie hatte ein neues Leben und eine neue Liebe gefunden. Harm, erinnerte ich mich und versuchte, ein Gefühl der Verantwortung in mir zu wecken. Was sollte aus Harm werden? Doch ich wusste, Chade würde sich um ihn kümmern, anfangs weil er mir sein Wort gegeben hatte, späterhin um des Jungen selbst willen.
    Aber Nessel. Was war mit Nessel?
    Die Antwort war niederschmetternd. Ich hatte ihr Schicksal schon besiegelt. Pflichtgetreu war mir entglitten, und ohne ihn war sie verloren. Wollte ich zurückkehren und Zeuge ihres Verderbens sein? Konnte ich mit diesem Wissen weiterleben, ohne den Verstand zu verlieren? Plötzlich kam mir ein noch grauenhafterer Gedanke. An diesem zeitlosen Ort war alles bereits geschehen. Jetzt, in diesem Moment, war sie tot.
    Damit war es entschieden. Ich ließ die gesammelten Partikel von Pflichtgetreu fahren und sie flogen fort von mir. Wie das beschreiben? Als stünde ich auf

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