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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Tauenden und von Würmern zerfressene Plankentrümmer; die Überreste einer Spinnenjungfer lagen nicht weit von einer Dolle. Nach und nach wuchsen die schwarzen Klippen vor uns in die Höhe, bis sie hoch über uns aufragten und einen guten Rundblick versprachen. Als wir näher kamen, sah ich, dass die Wand von Löchern zernarbt war. In Sandstein hätte ich Schwalbennester vermutet, aber nicht in diesem schwarzen Fels. Die Löcher kamen mir zu gleichmäßig vor, die Anordnung zu exakt, als dass man ihre Entstehung Wind und Wetter zuschreiben konnte. In einigen von ihnen weckte das Sonnenlicht ein geheimnisvolles Glitzern. Ich wurde neugierig.
    Die Wirklichkeit war noch seltsamer als meine Spekulationen. Aus der Nähe entpuppten sich die Löcher als Nischen unterschiedlicher Größe. Nicht alle, aber die meisten, enthielten einen Gegenstand. Sprachlos und staunend wanderten der Prinz und ich an der untersten Reihe entlang. Das bunte Gemisch der Stücke ließ mich an die Schatzkammer eines wahnsinnigen Königs denken. Eine Nische enthielt einen juwelenbesetzten Kelch, die nächste eine Porzellantasse von durchscheinender Zartheit. In einer großen Aushöhlung befand sich etwas, das aussah wie ein hölzerner Helm für ein Pferd, nur dass die Augen eines Pferdes seitlich am Kopf sitzen und nicht vorn. Ein Netz aus Goldketten, mit tiefblauen Saphirsplittern besetzt, lag über einem etwa frauenkopfgroßen Stein. Ein Kästchen aus glänzendem Holz mit Blumenintarsien, eine Lampe aus einem schimmernden grünen Stein, eine dünne Metallplatte mit eingravierten fremdartigen Schriftzeichen, eine zierliche Steinblume in einer Vase – jedes steinerne Fach barg ein neues Wunder.
    Ich war überwältigt. Wer kam auf den Gedanken, als Kabinett für seine Kostbarkeiten eine Regen und Sturm und Fluten ausgesetzte Klippe zu wählen? Jeder Gegenstand glänzte wie poliert. Nicht ein Hauch von Trübung auf dem Metall, keine Salzablagerungen auf dem Holz. Wem gehörten diese Schätze, wie waren sie hergekommen und weshalb hier ausgestellt? Ich schaute zurück, den Strand entlang, entdeckte aber keinen Hinweis auf Eingeborene. Keine Fußspuren außer unseren eigenen waren in den Sand geprägt. Diese Sammlung von Schätzen hatte keinen Wächter. Die Versuchung war zu groß, ich streckte den Finger aus, um die steinerne Blume zu berühren, doch unerwartet stieß ich gegen einen Widerstand. Es fühlte sich an, als wäre die Öffnung mit einer Scheibe aus biegsamem Glas verschlossen. Nun erst recht neugierig, drückte ich fester, aber desto unnachgiebiger wurde die unsichtbare Barriere. Es gelang mir, die Blume mit der Fingerspitze anzustoßen; sie bewegte sich, und ganz leise erreichte ein zartes Klingeln der Blütenblätter meine Ohren. Doch nur ein stärkerer Mann als ich wäre imstande gewesen, tief genug in die Nische einzudringen, um die Blume zu ergreifen. Als ich die Hand zurückzog, kribbelte sie unangenehm, wie nach der Berührung einer Brennnessel, nur hielt das Gefühl weniger lange an.
    Der Prinz hatte mich beobachtet. »Dieb«, bemerkte er ruhig.
    Ich kam mir vor wie ein Kind, das man bei etwas Verbotenem ertappt hat. »Ich wollte sie nicht stehlen. Ich wollte sie nur anfassen.«
    »Aber sicher.«
    »Du kannst denken, was du willst.« Ich wandte den Blick von den Schätzen ab und ließ ihn an den Felsen hinaufwandern. Eine Reihe vertikal angeordneter Löcher hatten mehr Ähnlichkeit mit einer Leiter als mit einer Fortsetzung des Kuriositätengefachs. Ohne den Prinzen in meine Entdeckung einzuweihen, ging ich hin und betrachtete mir die Stufen näher. Sie waren für einen größeren Mann als mich bemessen, aber ich dachte, dass ich damit zurechtkommen könnte.
    Pflichtgetreu verfolgte mein Tun aufmerksam, aber ich beschloss, dass er keine Erklärung verdient hatte. Ich nahm die Kletterpartie in Angriff. Um mit der Hand weiterzugreifen, musste ich mich gehörig strecken, um den Fuß in die nächste Trittmulde zu setzen, das Knie fast bis zur Brust heben. Nach dem ersten Drittel der Strecke wurde mir bewusst, was für eine Plackerei mir bevorstand. Die frischen Blessuren, die ich dem Prinzen verdankte, pochten dumpf. Hätte ich nicht einen Zuschauer gehabt, ich hätte vermutlich aufgegeben.
    So aber kletterte ich weiter, obwohl die alte Pfeilwunde im Kreuz jedesmal protestierte, wenn ich mich nach der nächsten Mulde reckte. Als ich endlich oben anlangte, klebte mir das Hemd schweißnass auf der Haut. Ich stemmte mich über die Kante

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