Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
also hatte er wenigstens den Regen und die Kälte wahrgenommen. Meine Sorge um ihn vermischte sich mit einer schuldbewussten Hoffnung. Vielleicht war er in seinem jetzigen Zustand nicht fähig, zu den Gescheckten hinzudenken, wo wir uns befanden. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte mit, wie ich hoffte, aufmunternder Stimme: »Steht auf, Prinz, wir gehen gemeinsam ein Stück. Durch die Bewegung wird uns warm.«
Ich weiß nicht, ob meine Worte für ihn einen Sinn ergaben. Er stierte ausdruckslos vor sich hin, als ich ihn vom Boden hochzog. Nachdem er aufrecht stand, krümmte er sich über den vor der Brust verschränkten Armen zusammen. Das Zittern ließ nicht nach. »Kommt«, forderte ich ihn auf, doch er bewegte sich nicht von der Stelle, bis ich einen Arm um ihn legte und im Befehlston sagte: »Kommt! Geht mit mir!« Da gehorchte er, aber sein Gehen war ein stolperndes, strauchelndes Schlurfen. Im Schneckentempo wanderten wir im Regen den Hang hinunter.
Nach einiger Zeit drang Hufschlag in mein Bewusstsein, der uns folgte.
Ein Blick zurück zeigte mir Meine Schwarze, die hinter uns hertrottete, doch in großem Abstand, und als ich stehen blieb, machte auch sie Halt. Der Prinz glitt mir aus dem schmerzenden Arm und sank zu Boden und sofort erwachte das Misstrauen der Stute. Ich hievte ihn wieder auf die Füße. Während wir unseren mühsamen Weg fortsetzten, folgte uns wieder ihr hinkender Hufschlag.
Ich ignorierte sie, bis sie uns fast eingeholt hatte, dann setzte ich mich hin, Pflichtgetreu an die Schulter gelehnt, bis die Neugier ihre natürliche Vorsicht überwog. Ich tat so, als bemerkte ich sie nicht, bis ich ihren warmen Atem im Nacken spürte. Auch dann drehte ich mich nicht nach ihr um, sondern tastete verstohlen hinter meinem Rücken nach ihren herabhängenden Zügeln.
Ich hatte den Eindruck, sie war ganz froh, ihrer Freiheit beraubt zu sein. Langsam, jede hastige Bewegung vermeidend, erhob ich mich und klopfte ihr den Hals. Getrockneter Schaum verklebte ihr Fell, Sattel-und Zaumzeug waren durchnässt. Sie hatte um die Trense herum gegrast. An einer Seite waren Sattelblatt, -decke und -gurt matschverkrustet von dem Versuch, sich zu wälzen. Ich führte sie langsam im Kreis herum und sah meine Befürchtung bestätigt. Sie lahmte. Etwas, die zwiehaften Hunde möglicherweise, hatte Jagd auf sie gemacht, doch auf Grund ihrer Schnelligkeit war sie entkommen. Ich fand es erstaunlich, dass sie in der Gegend geblieben und sogar zu mir gekommen war, als sie mich entdeckte. Doch vorbei die Hoffnung, in wildem Galopp hohnlachend der Gefahr zu entrinnen. Das Äußerste, was ich Meine Schwarze abverlangen konnte, war ein langsamer Schritt.
Ich vergeudete einige Zeit damit, den Prinzen durch gutes Zureden bewegen zu wollen, in den Sattel zu steigen. Erst als ich die Geduld verlor und ihn anschnauzte, er solle sich gefälligst bewegen und auf den verdammten Gaul setzen, gehorchte er. Ich erkannte, wie tief mein Gabenbefehl sich eingeprägt hatte und wie fest wir verbunden waren. »Hör auf, dich mir zu widersetzen!«, hatte ich ihn angefahren und sein Verstand begriff es als Verpflichtung zu widerspruchslosem Gehorsam.
Auch mit seiner Unterstützung war es ein schweres Stück Arbeit, ihn aufs Pferd zu bekommen. Als ich ihn hochstemmte, hatte ich einen Moment Angst, er könnte auf der anderen Seite wieder herunterfallen. Ich selbst versuchte gar nicht, hinter ihm aufzusteigen, Meine Schwarze hätte es nicht geduldet. Stattdessen nahm ich die Zügel und führte sie. Ihr Hinken stieß den Prinzen im Sattel hin und her, aber er hielt sich fest. Er sah furchtbar aus. Sämtliche Züge beginnender Mannesreife waren aus seinem Gesicht getilgt, übrig blieb ein krankes Kind mit großen, dunkel umschatteten Augen. Ein vielleicht auf den Tod krankes Kind. Die volle Bedeutung dieser Möglichkeit packte mein Herz wie eine eisige Faust. Der Prinz tot. Das Ende der Weitseherkönige und der Zerfall der Sechs Provinzen. Ein blutiger, qualvoller Tod für Nessel. Ich konnte es nicht zulassen. Wir betraten einen Streifen lichten Waldes, und eine Krähe flog auf, krächzend wie ein Prophet des Untergangs. Ein schlechtes Omen.
Beim Gehen redete ich auf den Prinzen und Meine Schwarze ein und ertappte mich dabei, dass ich Burrichs sonoren, singenden Tonfall nachahmte, die Worte sagte wie er damals, das gleiche tröstliche Ritual, dessen ich mich aus Kindertagen erinnerte. »Nun, nun, den Kopf nicht hängen lassen. Nur Mut,
Weitere Kostenlose Bücher