Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
zu. Seine Schultern waren reichlich so breit wie meine, und in einem Wettstreit der Ausdauer erwies sein junger Rücken sich wahrscheinlich als haltbarer. Er griente mitfühlend, als er in meinem Gesicht las, dass mir dämmerte, was er längst wusste. »Vielleicht weil es etwas ist, das ich dir gern geben möchte«, antwortete ich, und er nickte. Er verstand, was ich damit sagen wollte.
»Du hast mir bereits mehr gegeben, als ich je wiedergutmachen kann. Eingeschlossen die Fähigkeit, selbst für mein Fortkommen zu sorgen.«
Das waren die Worte, die ich mit ins Bett nahm, und ich lächelte, als ich die Augen schloss. Der Stolz auf unsere Kinder ist im Grunde nichts weiter als schnöde Eitelkeit. Ich hatte bei Harm keine bewusste Erziehung betrieben, mir nie viel Gedanken darüber gemacht, was ich ihm für sein Leben mitgab und was ich womöglich versäumte. Dann, eines schönen Abends, sieht mir ein junger Mann in die Augen und sagt mir, er kann für sich selbst sorgen, wenn es sein muss, und mich durchströmt das warme Glücksgefühl des Erfolgs. Der Junge hat sich selbst zum Mann geformt, dämpfte ich meine Selbstzufriedenheit, trotzdem sank ich mit einem Lächeln auf dem Gesicht in den Schlaf.
Vielleicht machte meine frohe Stimmung mich empfänglicher als sonst, denn in dieser Nacht hatte ich einen Gabentraum. Hin und wieder kam es vor, dass solche Nachtgesichte mich heimsuchten, meinen Hunger eher verschärften denn stillten, denn es waren unbeeinflussbare Visionen, kurze Blicke ohne die Befriedigung eines echten Kontakts. Dieser Traum aber lockte mit einem Versprechen, denn ich hatte das Gefühl, dass ich mit einem individuellen Bewusstsein verbunden war, statt nur die umherschwirrenden Gedanken einer Menschenmenge aufzuschnappen.
Beinahe fühlte ich mich als Gast in einer Erinnerung an früher. In dem Traum geisterte ich durch die Große Halle in Bocksburg. Scharen vornehmer Menschen, angetan mit ihren prunkvollsten Gewändern, füllten den Saal. Musik schwebte in der Luft und ich sah tanzende Paare, bewegte mich aber zwischen Leuten hindurch, die plaudernd in Gruppen beisammenstanden. Einige drehten sich um und grüßten, wenn ich vorbeiging, und ich erwiderte mit gemurmelten Floskeln den Gruß, aber mein Blick fand keinen Halt an ihren Gesichtern. Ich wollte nicht hier sein, dies alles hätte mir nicht gleichgültiger sein können. Für einen Moment fesselte eine Flut glänzender bronzebrauner Haare meine Aufmerksamkeit. Die junge Dame stand mit dem Rücken zu mir. Mehrere Ringe schmückten ihre schmale Hand, die sich hob, um nervös den Kragen zurechtzuzupfen. Als hätte sie meinen Blick gespürt, drehte sie sich um. Eine Blutwelle überflutete ihr Gesicht, und sie sank in einen tiefen Hofknicks. Ich verneigte mich, grüßte und setzte meinen Weg fort. Ich konnte fühlen, dass sie mir nachschaute; es ärgerte mich.
Noch ärgerlicher war es, Chade zu sehen, stattlich und elegant, wie er auf dem Podium neben und einen halben Schritt hinter dem Sessel der Königin stand. Auch er hatte mich beobachtet. Jetzt bückte er sich, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern und sein Blick flog pfeilgerade in mein Gesicht. Mit einer kleinen Handbewegung winkte sie mich heran. Ich spürte die unsichtbare Fessel. Würde ich nie frei über meine Zeit verfügen dürfen? Um zu tun, was mir beliebte? Lustlos und langsam folgte ich der Aufforderung.
Dann veränderte sich der Traum, wie Träume es an sich haben. Ich lag auf einer Decke vor einem Kamin. Ich langweilte mich. Es war gemein. Unten tanzten sie und schmausten und ich … Ein Wellenschlag. Nein. Nicht gelangweilt, nur momentan nicht beschäftigt mit etwas Bestimmtem. Müßig schob ich meine Krallen hervor und inspizierte sie. Unter einer haftete ein Hauch Federflaum. Ich entfernte ihn und säuberte gründlich die ganze Pfote, um dann vor dem Feuer einzudösen.
Was war das? Belustigung durchspielte den schläfrigen Gedanken von Nachtauge, doch ihm zu antworten hätte größere Anstrengung erfordert, als ich im Moment aufzubringen gewillt war. Ich drehte mich brummend auf die andere Seite und wühlte mich zurück in den Schlaf.
Am Morgen dachte ich nur kurz an meinen Traum, tat ihn ab als eine Mischung aus suchender Gabe und Kindheitserinnerungen an Bocksburg, durch meine Ambitionen für Harm aus dem Gedächtnis heraufgestiegen. Bei der Erledigung meiner morgendlichen Pflichten, fiel mein Blick auf den schrumpfenden Brennholzvorrat. Er musste aufgefüllt werden, nicht
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