Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
»Nichts für ungut, Tom Dachsenbless. Und ich wollte dich nur warnen, wie gute Nachbarn es einander schuldig sind. Hab ein Auge auf deine Hühner.« Er nickte bekräftigend, und der Käser gegenüber nickte ebenfalls.
»Mein Vetter ist da gewesen, in Hardins Höft. Er hat gesehen, wie der Metze Flügel gewachsen sind und sie davonflog. Die Stricke fielen von ihr ab und weg war sie.«
Ich schaute mich nicht einmal nach dem Sprecher um. Das normale Markttreiben rings um uns nahm seinen Fortgang, aber jetzt war das Stimmengewirr gefärbt von lustvollem Hass auf die Zwiehaften.
Ich stand allein, die heiße Sommersonne brannte auf meinen Kopf wie auf die unglücklichen Ferkel in Baylors Karren. Mein Herzschlag bebte durch meinen Körper. Der Augenblick, in dem ich bereit gewesen war, ihn zu töten, war vorübergegangen wie eine Fieberwelle. Ich sah, dass Harm sich den Schweiß von der Stirn wischte. Jinna legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte leise etwas zu ihm. Er schüttelte den Kopf, seine Lippen waren weiß. Dann schaute er mit einem zittrigen Lächeln zu mir her. Es war überstanden.
Aber ringsumher waren jetzt die Heimtücke und angeblichen Untaten der Zwiehaften in aller Munde; man fühlte sich wohlig geeint von der Aussicht auf einen gemeinsamen Gegner. Es verursachte mir ein mulmiges Gefühl und ich kam mir klein und schäbig vor, weil ich nicht die Stimme erhob, um gegen die Ungerechtigkeit dieser Hetzkampagne zu wettern. Stattdessen nahm ich Vierklees Halfterstrick. »Achte du auf die Waren, Harm. Ich bringe das Pony zur Tränke.«
Harm, immer noch ernst und still, nickte. Ich spürte seine Augen im Rücken, während ich Vierklee zum Brunnen führte. Ich ließ mir viel Zeit mit dem Tränken, und als ich zurückkam, gebärdete Baylor sich überaus freundlich, lächelte und winkte. Alles, wozu ich mich überwinden konnte, war ein Kopfnicken. Es war eine Erlösung, als ein Schlachter alle sechs Ferkel kaufte, unter der Bedingung, dass Baylor sie ihm bis vor die Tür lieferte. Sobald der wundgescheuerte Ochse und die halb verschmachteten Ferkel sich entfernten, atmete ich auf. Mein Rücken schmerzte von der stundenlangen Anspannung.
»Liebenswerter Zeitgenosse«, bemerkte Jinna trocken. Harm lachte laut auf und selbst ich musste lächeln, wenn auch gequält. Später teilten wir unseren Proviant – hartgekochte Eier, Brot und Pökelfisch – mit ihr. Sie steuerte Dörräpfel bei und Räucherwurst. Wir machten ein Picknick daraus, und als ich über einen Scherz von Harm lachte, stürzte sie mich in Verlegenheit, indem sie sagte: »Du siehst aus wie jemand, vor dem man sich in Acht nehmen sollte, Tom Dachsenbless, wenn du die Stirn runzelst. Und wenn du die Fäuste ballst, möchte ich nicht dein Feind sein. Doch wenn du lächelst oder lachst, strafen deine Augen diesen Eindruck Lügen.«
Harm kicherte, als er mich erröten sah, und der Rest des Tages verging in guter Stimmung und mit freundschaftlichem Geplauder. Als der Markttag sich dem Ende zuneigte, hatte Jinna gute Geschäfte gemacht. Ihr Vorrat an Amuletten war erheblich geschrumpft.
»Bald ist es Zeit, nach Burgstadt zurückzugehen und neue anzufertigen. Das macht mir mehr Spaß, als das Verkaufen, obwohl es mir gefällt, herumzuwandern und neue Menschen kennen zu lernen«, erzählte sie, als sie ihre Sachen zusammenpackte.
Harm und ich hatten den größten Teil unserer Waren gegen Dinge eingetauscht, die zu Hause gebraucht wurden, aber nur wenig an barer Münze eingenommen, um es seinem Lehrgeld hinzuzufügen. Er versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, aber ich sah den Schatten der Bangigkeit in seinen Augen. Was wenn unser Geld nicht ausreichte, nicht einmal für den Bootsbauer? Was wurde dann aus seiner Zukunft? Die Frage ließ auch mich nicht ruhen.
Doch weder er noch ich sprachen es aus. Wir nächtigten in unserem Karren, um die Ausgabe für die Herberge zu sparen, und brachen am nächsten Morgen nach Hause auf. Jinna kam vorbei, um sich zu verabschieden, und Harm erinnerte sie an die Einladung, uns zu besuchen. Sie versicherte ihm, sie würde daran denken, aber dabei suchten ihre Augen die meinen, als zweifelte sie, ob sie auch wirklich willkommen wäre. Mir blieb nichts anderes übrig als zu lächeln und zu nicken und ebenfalls zu erklären, dass ich hoffte, sie bald bei uns zu sehen.
Wir hatten schönes Wetter für die Heimreise. Hohe Wolken und ein leichter Wind machten die Sommerhitze erträglich. Wir
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