Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
gedeihen?«
Ich nickte stumm, der Schreck steckte mir noch in den Gliedern. Vorhin hatte ich an der Wirksamkeit ihrer Amulette gezweifelt, inzwischen fürchtete ich ihre Macht. Sie zog das Gartenamulett aus dem Säckchen und unwillkürlich biss ich die Zähne zusammen, aber es geschah nichts. Ich fing ihren Blick auf und las Mitgefühl in ihren Augen. Ihr freundliches Lächeln war beruhigend.
»Du musst mir deine Hand geben, damit ich es auf dich abstimmen kann. Anschließend gehen wir damit nach draußen, und ich richte es für deinen Garten ein. Dieses Amulett ist zur Hälfte für den Garten und zur Hälfte für den Gärtner. Was sich zwischen einem Gärtner und seinem Stückchen Erde abspielt, macht den Garten. Gib mir deine Hände.«
Sie ließ sich an meinem Tisch nieder und streckte mir die nach oben gekehrten offenen Hände entgegen. Ich nahm den Stuhl ihr gegenüber und nach einem befangenen Zögern legte ich meine Handflächen auf die ihren.
»Nicht so. Eines Menschen Leben und Gewohnheiten stehen in der Innenfläche seiner Hände geschrieben, nicht auf dem Handrücken.«
Gehorsam drehte ich meine Hände um. Als Chades Famulus hatte ich gelernt, in Händen zu lesen, nicht die Zukunft, sondern die Vergangenheit. Die Schwielen vom Gebrauch eines Schwertes sahen anders aus als die von der Feder eines Schreibers oder der Sense eines Landmanns. Sie beugte sich tief über meine Hände, betrachtete sie konzentriert. Ich fragte mich, ob ihre Augen die Kriegsaxt erkennen würden, die ich einst geschwungen hatte, oder meine Arbeit am Ruder der Rurisk . Sie studierte erst meine rechte Hand, runzelte die Stirn und wandte sich der linken zu. Als sie aufschaute, hatte ihr Gesicht einen sinnenden Ausdruck; sie lächelte mitleidig.
»Du bist ein merkwürdiger Geselle, Tom, so viel steht fest! Säßen sie nicht beide am Ende deiner Arme, ich würde sagen, dies sind die Hände von zwei verschiedenen Männern. Es heißt, dass die linke Hand sagt, wie man geboren wurde und die rechte, was man aus sich gemacht hat, aber dennoch, solche Unterschiede in den zwei Händen eines Menschen habe ich selten gesehen. Hier in der Fläche der linken Hand, da sehe ich einen gefühlvollen Knaben. Einen empfindsamen Jüngling. Und dann … Die Lebenslinie bricht unvermittelt ab.« Sie ließ meine rechte Hand los, setzte den Zeigefinger in den linken Handteller, und ihr Nagel zog eine kribbelnde Spur bis dorthin, wo mein Leben endete. »Wärst du in Harms Alter, ich müsste fürchten, dass vor mir ein junger Mann sitzt, der bald sterben wird. Da du aber hier bist und deine rechte Hand eine schöne lange Lebenslinie aufweist, werden wir uns danach richten, ja?« Sie nahm meine Rechte in ihre beiden Hände.
»Warum nicht.« Ich fühlte mich unbehaglich. Es waren nicht nur ihre Worte, die mich aus der Ruhe brachten. Der einfache warme Druck ihrer Hände brachte mir plötzlich ihre Weiblichkeit zu Bewusstsein, und ich erlebte eine sehr jünglingshafte Reaktion darauf. Ich rückte auf meinem Stuhl herum. Das wissende Lächeln, das um ihre Mundwinkel huschte, steigerte meine Verlegenheit noch.
»So. Ein leidenschaftlicher Gärtner, wie ich sehe, einer, der viele Kräuter kennt und ihre Wirkung.«
Ich brummte. Sie hatte meinen Garten gesehen und konnte aus dem, was dort wuchs, ihre Schlüsse ziehen. Wieder versenkte sie sich in den Anblick meiner rechten Handfläche, strich mit dem Daumen darüber, um die feineren Linien zu glätten, legte dann ihre Finger unter meine und bog sie ein wenig nach oben, sodass die Falten sich vertieften. »Links oder rechts, darin zu lesen ist nicht einfach, Tom.« Stirnrunzelnd betrachtete sie beide abwechselnd. »Nach deiner linken Hand würde ich sagen, du hattest eine süße und wahre Liebe in deinem Leben. Eine Liebe, der nur durch deinen Tod ein Ende bereitet wurde. Doch hier in deiner rechten Hand sehe ich getreuliche Liebe, die sich, einmal nah, einmal fern, durch all die vielen dir bestimmten Jahre zieht. Auch wenn du sie jetzt vermisst, wird sie bald zu dir zurückkehren.« Sie hob ihre klaren haselnussbraunen Augen zu meinem Gesicht, um zu sehen, ob sie richtig gedeutet hatte. Ich zuckte mit einer Schulter. Hatte Harm ihr von Merle erzählt? Getreuliche Liebe konnte man sicher nicht nennen, was uns verbunden hatte. Als ich schwieg, wandte sie sich wieder meinen Händen zu, ließ den Blick zwischen ihnen hin und her wandern. Eine Furche grub sich zwischen ihre Brauen. »Schau her. Siehst du das? Zorn
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