Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
seinen Augen. Stille legte sich über seine Züge. Als er mich ansprach, war seine Stimme leise, die Worte ausdruckslos. »Willst du mich nicht begrüßen, Fitz?«
Ich machte den Mund auf, dann warf ich stumm und hilflos die Arme auseinander. Bei dieser Gebärde, die alles ausdrückte, wozu mir die Worte fehlten, hellte sich auch seine Miene wieder auf. Er strahlte, als wäre in ihm ein Licht entzündet worden. Statt abzusteigen, warf er sich mir vom Pferd herunter entgegen, ein von Nachtauge, der aus dem Wald gestürmt kam, zusätzlich beflügeltes Unterfangen. Das Pferd ging erschrocken mit steifen Beinen und rundem Buckel in die Luft. Der Narr trennte sich mit größerem Schwung als beabsichtigt von seinem Sattel, doch akrobatisch wie immer, landete er auf den Füßen. Das Pferd tänzelte zur Seite, aber keiner von uns achtete darauf. Mit einem Schritt war ich bei ihm. Ich schloss ihn in die Arme, während der Wolf um uns herumhüpfte wie ein Welpe.
»Alter Freund«, sagte ich erstickt. »Es ist unmöglich und doch bist du’s. Und mich kümmert nicht, wie ich es erklären soll.«
Er warf die Arme um meinen Hals, umschlang mich mit aller Kraft; Burrichs Ohrring bohrte sich kalt in meinen Hals. Einen langen Moment klammerte er sich an mich wie eine Liebende, bis der Wolf sich energisch zwischen uns drängte. Der Narr fiel auf ein Knie nieder, in den Staub, ungeachtet seiner feinen Kleidung, als er den Wolf umarmte. »Nachtauge!«, flüsterte er überwältigt. »Ich hatte nicht geglaubt, dich wiederzusehen. Welch große Freude, alter Freund.« Er vergrub das Gesicht im Nackenfell des Wolfs, ließ seine Tränen hineinfallen. Ich achtete ihn deswegen nicht geringer; auch mir liefen die Augen über.
Er erhob sich mit fließender Anmut, jede Nuance seiner Bewegungen war mir so vertraut wie das Atmen. Die Hände an meinem Hinterkopf verschränkt, drückte er wie früher seine Stirn gegen meine. Sein Atem roch nach Honig und Aprikosenbrandy. Hatte er sich für dieses Wiedersehen stärken müssen? Nach einem Moment neigte er sich zurück, doch ließ er die Hände auf meinen Schultern liegen. Er betrachtete mich, seine Augen berührten die weiße Strähne in meinem Haar, wanderten vertraut über die Narben in meinem Gesicht. Ich erwiderte die Musterung nicht weniger fasziniert, staunte, wie er sich verändert hatte und noch mehr, wie er sich nicht verändert hatte. Er sah ebenso jung aus wie damals, als wir uns vor nahezu fünfzehn Jahren getrennt hatten. Keine Falte zeichnete sein Gesicht.
Er räusperte sich. »Nun? Willst du mich nicht hereinbitten?«, fragte er.
»Selbstverständlich. Sobald wir dein Pferd versorgt haben«, antwortete ich heiser.
Das breite Grinsen, das sein Gesicht erhellte, löschte alle Jahre und Entfernung zwischen uns aus. »Du hast dich kein bisschen verändert, Fitz. Zuerst die Pferde, wie schon immer.«
»Nicht verändert?« Ich schüttelte den Kopf. »Du bist derjenige, der nicht einen Tag gealtert zu sein scheint. Doch alles andere …« Ich bewegte mich behutsam einen Schritt auf die Schimmelstute zu. Sie wich aus, hielt immer den gleichen Abstand zu mir bei. »Du bist golden geworden, Narr. Und du kleidest dich so reich wie früher Edel. Als ich dich eben sah, habe ich dich erst nicht erkannt.«
Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, der ein halbes Lachen war. »Dann war es nicht, wie ich fürchtete, dass du dich überwinden musstest, mich zu begrüßen?«
Diese Frage war so unsinnig, dass sie keine Antwort verdiente. Ich überhörte sie und unternahm erneut einen Annäherungsversuch an die weiße Stute. Sie wandte den Kopf ab, sodass ich die Zügel nicht greifen konnte, dabei behielt sie stets den Wolf im Auge. Ich konnte spüren, wie der Narr amüsiert das Schauspiel beobachtete. »Nachtauge, du machst es mir mit Absicht schwer!«, rief ich ärgerlich. Der Wolf senkte den Kopf und warf mir einen wissenden Blick zu, hörte aber auf, das Pferd zu umschleichen.
Ich könnte es selbst in den Schuppen bringen, wenn du mich nur lässt.
Der Narr neigte den Kopf ein wenig zur Seite und musterte uns fragend. Ich empfing etwas von ihm: einen spinnwebfeinen Silberfaden gemeinsamer Wahrnehmung. Beinahe vergaß ich das Pferd. Unwillkürlich berührte ich das Mal, welches er mir vor so langer Zeit aufgedrückt hatte, die silbernen Abdrücke seiner Finger an meinem Handgelenk, längst verblasst zu Schattengrau. Ein Lächeln trat auf sein Gesicht, er streckte eine behandschuhte Hand aus,
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