Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
Lass mich in Ruhe und hör auf, die Last der ganzen Welt auf deinen Schultern tragen zu wollen und dir die Sorgen anderer zu eigen zu machen. Er hob den Kopf von meinem Knie und machte sich mit einem tiefen Schnaufen vor dem Kamin lang. Es war, als fiele ein Vorhang zwischen uns nieder, hinter dem er verschwand.
Ich erhob mich langsam, eine Hand ins Kreuz gestemmt, um meinen eigenen Schmerz zu bändigen. Der Wolf hatte Recht. Manchmal machte das Teilen einen Schmerz nicht leichter erträglich. Der Narr schenkte uns einen weiteren Trunk von seinem Nektar ein. Ich setzte mich an den Tisch, und er schob mir meinen Becher hin, während er seinen auf einen Rundgang durch die Stube mitnahm. Er blieb vor Veritas’ halb fertiger Karte der Sechs Provinzen stehen, die ich aufgehängt hatte, warf einen Blick in Harms Alkoven und beugte sich über die Schwelle meiner Schlafkammer. Nachdem ich Harm seinerzeit zu mir genommen hatte, hatte ich einen weiteren Raum angebaut, meine Klause, mit einem eigenen kleinen Kamin, einem Schreibtisch und einem Regal für Schriftrollen. Der Narr zögerte an der Tür, dann trat er kühn ein. Ich beobachtete ihn. Sein Verhalten gemahnte an eine Katze, die ein fremdes Revier erkundet. Er fasste nichts an, doch seine Augen bemerkten alles.
»Eine Menge Schriftrollen«, meinte er.
Ich erhob die Stimme, damit er mich im Nebenraum verstehen konnte. »Ich habe versucht, eine Chronik der Sechs Provinzen zu verfassen. Philia und Fedwren haben mich vor Jahren, als ich noch ein Junge war, darum gebeten. Eine Beschäftigung an den langen Abenden.«
»Aha. Darf ich?«
Ich nickte. Er ließ sich an meinem Schreibtisch nieder und entrollte das Pergament über das Steinspiel. »Ach ja. Ich erinnere mich daran.«
»Chade will es haben, wenn ich damit fertig bin. Ich habe ihm von Zeit zu Zeit Dinge geschickt, durch Merle. Doch erst vor einem Monat oder so habe ich ihn wiedergesehen, zum ersten Mal seit damals.«
»Hm. Aber Merle hast du öfter gesehen.« Er saß mit dem Rücken zu mir, so konnte ich den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht sehen. Der Narr und die Vagantin waren sich von Anfang an spinnefeind gewesen. Eine Zeit lang hatten sie eine halbherzige Waffenruhe geschlossen, doch blieb ich ein Zankapfel zwischen ihnen. Der Narr war nie mit meiner Freundschaft zu Merle einverstanden gewesen, hatte nie geglaubt, dass ihr wirklich etwas an mir lag. Umso peinlicher, eingestehen zu müssen, dass er Recht behalten hatte.
»Merle ist hin und wieder zu Besuch gekommen. Sie war es, die mir Harm gebracht hat, vor ungefähr sieben Jahren. Er ist gerade fünfzehn geworden. Zurzeit ist er nicht hier, er verdingt sich draußen bei den Bauern, um sich das Geld für seine Lehre zu verdienen. Er will Möbeltischler werden. Er versteht sich gut aufs Arbeiten mit Holz, für seine Jugend; den Schreibtisch und das Regal hat er gemacht. Doch ich weiß nicht, ob er die Geduld für die Feinheiten des Handwerks aufbringt. Wie dem auch sei, das hat er sich in den Kopf gesetzt und will bei einem Meister in Burgstadt in die Lehre gehen. Grindast ist sein Name, und er ist einer der Besten. Sogar ich habe ihn rühmen gehört. Wenn ich geahnt hätte, dass der Junge so hoch hinaus will, hätte ich früher angefangen, etwas auf die hohe Kante zu legen. Aber …«
»Merle?« Die Frage des Narren unterbrach meinen Redeschwall über die Zukunft des Jungen.
Es kam mir nur schwer über die Lippen. »Sie ist verheiratet. Ich weiß nicht seit wann. Harm hat es herausgefunden, als er mit ihr zum Frühlingsfest in Bocksburg war. Er kam nach Hause und hat es mir erzählt.« Ich zog eine Schulter hoch und ließ sie fallen. »Ich musste mit ihr brechen. Sie wusste, dass es so kommen würde, wenn ich von ihrer Ehe erfuhr, trotzdem sind wir im Streit auseinander gegangen. Sie konnte nicht verstehen, weshalb es mir unmöglich sein sollte, weiterzumachen wie bisher, solange ihr Gemahl keinen Wind davon bekommt.«
»Typisch Merle.« Er sagte es in einem Ton, als drückte er mir sein Beileid für Frostschäden an den Stangenbohnen aus. Er drehte sich auf dem Stuhl um und schaute über die Schulter zu mir her. »Und bist du darüber hinweg?«
Ich räusperte mich. »Ich habe viel gearbeitet. Und mich bemüht, nicht daran zu denken.«
»Weil sie kein Schamgefühl hat, glaubst du, du musst dich geißeln. Menschen wie sie haben ein Talent, anderen ihre Schuld aufzubürden. Diese rote Tinte ist herrlich. Wo hast du sie her?«
»Selbst
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