Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
vernünftige Antwort entlocken zu wollen. Statt auf sein Spiel einzugehen, formulierte ich meine Frage neu: »Es scheint mir nicht mehr angemessen, dich mit Narr anzureden. Wie möchtest du, dass ich dich nenne?«
»Ah, wie möchte ich, dass du mich nennst? Ich verstehe. Eine ganz und gar andere Frage.« Sein Tonfall war ein spöttischer Singsang.
Ich holte tief Atem und versuchte mein Glück ein drittes Mal. »Wie lautet dein Name, dein wirklicher Name?«
»Oh.« Plötzlich tiefernst. »Mein Name. Den meine Mutter mir bei der Geburt gegeben hat, meinst du?«
»Ja.« Und dann hielt ich den Atem an. Er sprach selten von seiner Kindheit. Plötzlich begriff ich die Ungeheuerlichkeit meines Ansinnens. Es war die alte Namensmagie: Kenne ich deinen wahren Namen, habe ich Macht über dich. Verrate ich dir meinen Namen, gebe ich dir diese Macht. Wie bei allen direkten Fragen, die ich dem Narren je gestellt hatte, hoffte ich auf eine Antwort und fürchtete sie zugleich.
»Und wenn ich ihn dir sage, wirst du mich bei diesem Namen nennen?« Sein Tonfall warnte mich, nicht vorschnell zu antworten.
Ich überlegte. Sein Name gehörte ihm, und ich hatte nicht das Recht, damit hausieren zu gehen. Aber: »Nur unter vier Augen. Und nur, wenn du es möchtest«, antwortete ich gewichtig. Für mich war es ein Schwur.
»Aha.« Er drehte sich um und schaute mich an. Sein Gesicht leuchtete. »Aber ja, ich möchte es«, versicherte er mir.
»Also?« Plötzlich überfiel mich die dunkle Ahnung, dass ich ihm wieder auf den Leim gegangen war.
»Der Name, den meine Mutter mir gegeben hat, du sollst ihn wissen, damit du mich so nennen kannst, wenn wir allein sind.« Mit einem tiefen Atemzug wandte er sich wieder dem Feuer zu. Er schloss die Augen, aber sein Grinsen wurde noch breiter. »Herzlieb. Sie nannte mich immer nur ›Herzlieb‹.«
»Narr!«
Er lachte. Ein kehliges, sattes Kichern reinen Vergnügens. »Es stimmt.«
»Narr, ich meine es ernst.« Die Kammer begann sich wieder langsam um mich zu drehen. Wenn ich nicht bald einschlief, würde ich mich übergeben müssen.
»Und du glaubst, ich nicht?« Er seufzte theatralisch. »Nun, wenn du mich nicht ›Herzlieb‹ nennen willst, dann schlage ich vor, dass wir bei ›Narr‹ bleiben. Bin ich doch immer der Narr für dich, wie du mein Firlefitz.«
»Tom Dachsenbless.«
»Wie?«
»Ich bin jetzt Tom Dachsenbless. So werde ich hier genannt.«
Er schwieg eine Weile. »Nicht von mir«, sagte er dann entschieden. »Wenn du darauf bestehst, dass wir beide andere Namen haben sollen, dann will ich dich ›Herzlieb‹ nennen. Und wann immer ich das tue, darfst du ›Narr‹ zu mir sagen.« Er hob die Lider und rollte den Kopf herum, sodass er mich anschauen konnte. Er verzog das Gesicht zu einem süßlichen, liebeskranken Lächeln, dann stieß er einen abgrundtiefen Seufzer aus. »Gute Nacht, Herzlieb. Wir sind viel zu lange getrennt gewesen.«
Ich kapitulierte. Wenn er in dieser Laune war, konnte man nicht vernünftig mit ihm reden. »Gute Nacht, Narr.« Ich drehte mich auf die Seite und schloss die Augen. Falls er noch antwortete, war ich schon eingeschlafen und hörte es nicht.
Kapitel 6 · Die ruhigen Jahre
Von Geburt bin ich ein Bastard. Die ersten sechs Jahre wohnte ich mit meiner Mutter irgendwo im Hohen Reich. Ich habe keine klare Erinnerung an diese Zeit. Als ich sechs war, brachte mich mein Großvater zur Zitadelle in Mondesauge und übergab mich meinem Oheim väterlicherseits, Veritas Weitseher. In meiner Person manifestierte sich nun für aller Augen sichtbar, der politische und persönliche Fehltritt, der meinen Vater veranlasste, seinen Anspruch auf den Thron aufzugeben und sich vollkommen vom Hof zurückzuziehen. Mich gab man in die Obhut von Burrich, dem Stallmeister in Bocksburg. Später hielt König Listenreich es für angebracht, sich meiner Loyalität zu versichern und gab mich bei seinem bestallten Meuchelmörder in die Lehre. Nach dem Tod Listenreichs, durch die Machenschaften seines jüngsten Sohnes, Edel, gehörte meine Treue König Veritas. Ihm folgte und diente ich bis zu dem Augenblick, als er sein Leben und seine Seele in einen steinernen Drachen einfließen ließ. Veritas-als-Drache erhob sich in die Lüfte und führte die Uralten in Gestalt von Drachen gegen die Roten Korsaren, die unser Land heimsuchten und verwüsteten. Nachdem ich meinem König bis zuletzt gedient hatte, zog ich mich, verwundet an Leib und Seele, vom Hof zurück und lebte fünfzehn
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