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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Katastrophe abzuwenden. Ich wusste nicht wie, nur dass ich es tun musste. Und was finde ich? Dich. Ein Bastard, aber nichtsdestotrotz ein Spross aus dem Blut der Weitseher. In keiner Zukunft, in die ich blickte, hatte ich dich gesehen, doch wenn ich mir alles in Erinnerung rief, was ich von den Prophezeiungen meines Volkes wusste, entdeckte ich dich, wieder und wieder. Aus Nebensätzen schautest du mich an, aus versteckten Andeutungen. Deshalb tat ich, was in meiner Macht stand, um dich am Leben zu erhalten, und die schwerste Arbeit war, dich zu ermuntern, dass du dich selbst am Leben hältst. Ich tastete mich durch den Nebel, geleitet nur von einer Ahnung wie die glitzernde Kriechspur einer Schnecke. Ich handelte auf der Grundlage dessen, was verhindert werden musste, statt gemäß dem, was ich bewirken sollte. Wir umgingen all die anderen möglichen Zukunftspfade. Ich stürzte dich in Gefahr und entriss dich dem Rachen des Todes, ohne Rücksicht darauf, was es dich an Schmerzen kostete und Narben und unerfüllten Träumen. Allen Hindernissen zum Trotz hast du überlebt, und als die Wehen der Reinigung der Bocksmarken überstanden waren, gab es einen legitimen Erben des Hauses Weitseher. Durch dich. Und plötzlich war es, als stünde ich auf einem hohen Berg über einem von Nebel erfüllten Tal. Ich behaupte nicht, dass meine Augen den Nebel durchdringen können, nur dass ich darüber stehe und in weiter Ferne die Gipfel einer neuen möglichen Zukunft erkenne. Einer Zukunft, gegründet auf dich.«
    Er schaute mich an mit seinen goldenen Augen; sie schillerten in dem schwachen Lichtschein aus der offenen Tür. Er schaute mich nur an, und plötzlich fühlte ich mich alt, und die alte Pfeilwunde neben meiner Wirbelsäule meldete sich mit einem derart stechenden Schmerz, dass mir für einen Moment der Atem stockte. Der Schmerz ging über in ein Pochen, wie eine düsterrote Vorahnung. Ich sagte mir, ich hätte zu lange in einer unbequemen Haltung stillgesessen, weiter nichts.
    »Nun?«, fragte er drängend. Sein Blick forschte beinahe gierig in meinem Gesicht.
    »Ich glaube, ich brauche noch einen Schluck«, gestand ich. Irgendwie war mein Becher leer geworden.
    Er trank aus, stand auf und nahm mir den Becher aus der Hand. Der Wolf und ich erhoben uns ebenfalls. Wir folgten ihm in die Hütte. Er wühlte in seinem Bündel und zog eine Flasche heraus. Man konnte sehen, dass etwa ein Viertel am Inhalt fehlte, also hatte er sich für unser Wiedersehen gestärkt. Ich fragte mich, vor welchem Aspekt der Begegnung mit mir ihm bange gewesen war. Er zog den Korken heraus und schenkte uns beiden nach. Mein und Harms Stühle standen vor dem Kamin, aber schließlich saßen wir alle drei auf dem Boden, dicht am ersterbenden Feuer. Mit einem tiefen Schnaufen streckte der Wolf sich zwischen uns aus, den Kopf in meinem Schoß. Ich streichelte seinen Nacken und empfing ein plötzliches Aufzucken von Schmerz. Ich strich mit der Hand an seinem Rücken entlang zu den Hüftgelenken und massierte sie behutsam. Er ächzte leise, als der Schmerz nachließ.
    Wie schlimm ist es?
    Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten.
    Du bist meine Angelegenheit
    Geteilter Schmerz ist nicht immer halber Schmerz.
    Da bin ich mir nicht so sicher.
    »Er wird alt«, unterbrach der Narr unseren Gedankenaustausch.
    »Ich ebenfalls«, gab ich zurück. »Du hingegen siehst so jung aus wie immer.«
    »Doch bin ich erheblich älter als ihr beide zusammen. Und heute Abend spüre ich jedes einzelne meiner Jahre.« Wie um seine eigenen Worte zu widerlegen, zog er geschmeidig die Beine an die Brust, schlang die Arme darum und stützte das Kinn auf die Knie.
    Ein Schluck Weidenrindentee könnte dir helfen.
    Bleib mir weg mit deinem Gebräu und knete weiter.
    Ein kleines Lächeln krümmte die Mundwinkel des Narren. »Fast kann ich euch zwei hören. Es ist wie das Summen einer Mücke dicht am Ohr oder das Kribbeln von etwas Vergessenem, das nicht aus dem Gedächtnis auftauchen will. Oder als versuchte man sich den Geschmack einer erlesenen Speise in Erinnerung zu rufen, nachdem einem ein Hauch ihres Aromas in die Nase gestiegen ist.« Seine goldenen Augen tauchten in meine. »Ich fühle mich einsam dabei.«
    »Tut mir Leid«, sagte ich, das Einzige, was mir einfiel. Dass Nachtauge und ich uns auf diese Weise verständigten, geschah nicht in der Absicht, ihn auszuschließen. Die Verschwisterung durch die Alte Macht war so eng, dass wir sie nicht mit einem Dritten teilen

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