Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
das Symbol, das mich zurück in den Steinbruch versetzen würde. Ein anderes, ich war fast sicher, brachte den Reisenden in die verlassene Stadt der Uralten. Ohne zu überlegen hob ich einen Finger, um die Rune nachzuzeichnen.
Seiner Größe zum Trotz, vermag Nachtauge sich schnell und fast lautlos zu bewegen. Mit einem Satz war er zwischen mir und dem Obelisk und hatte mein Handgelenk zwischen den Kiefern. Ich ließ mich mit ihm fallen, damit seine Zähne mir nicht den Arm aufrissen, und lag auf dem Rücken, während er neben oder fast über mir stand, immer noch mein Handgelenk im Maul. Das wirst du nicht tun.
»Ich hatte nicht vor, den Stein zu benutzen. Ich wollte ihn nur anfassen.«
Er ist tückisch. Ich bin durch die Schwärze in seinem Innern gegangen. Wenn ich dir noch einmal dort hinein folgen muss, weil dein Leben in Gefahr ist, dann werde ich es tun. Aber verlange nicht, dass ich dir folge, nur um schnöder Neugier willen.
Und wenn ich nur ganz kurz hingehe, allein?
Allein? Du weißt, es gibt kein wirkliches ›allein‹ mehr für uns.
Ich habe dich allein zu einem Wolfsrudel gehen lassen, damit du bei Deinesgleichen sein kannst.
Das ist nicht dasselbe, und das weißt du.
Wieder einmal hatte er Recht. Ich stand auf und klopfte mich ab. Das ist einer der besten Aspekte der Alten Macht. Keine langen, gewundenen Debatten, um sicher zu sein, dass man versteht, was der andere meint. Einmal, vor Jahren, hatte er mich verlassen, um sich seiner eigenen Art anzuschließen. Als er zurückkehrte, war es das stillschweigende Eingeständnis, dass seine Verbindung zu mir stärker war als zu seinem Rudel. In den Jahren seither waren wir noch enger zusammengewachsen. Wie er mir einmal vor Augen geführt hatte, war ich nicht mehr ausschließlich ein Mensch, noch er ausschließlich ein Wolf. Wir waren keine separaten Individuen mehr. Auch in diesem Fall verhielt es sich nicht so, dass er mir gegenüber seinen Willen durchsetzen wollte, vielmehr war es, als führte man ein Zwiegespräch mit sich selbst. Doch diese kleine Konfrontation machte uns bewusst, was wir bisher verdrängt hatten. Unser Bund wurde enger und komplizierter. Keiner von uns wusste so recht, wie wir damit umgehen sollten.
Der Wolf hob den Kopf von den Pfoten. Seine tiefen Augen schauten in meine. Wir hatten das gleiche ungute Gefühl, doch er überließ mir die Entscheidung.
Sollte ich dem Narren erzählen, wo wir als nächstes hingegangen waren und was wir erfahren hatten? Waren meine Erlebnisse bei denen mit der Alten Macht mein ausschließlicher Besitz, den ich teilen durfte? Die Geheimnisse, die ich bewahrte, schützten das Leben vieler. Ich persönlich hätte bedenkenlos mein Wohl und Wehe in die Hände des Narren gelegt, aber durfte ich arkanes Wissen, in die man mich als einen der Ihren eingeweiht hatte, an einen Unberufenen weitergeben, sodass sie ihm ausgeliefert waren?
Ich weiß nicht, wie der Narr mein Zögern deutete. Vermutlich sah er etwas anderes darin als nur ein Zeichen von Unsicherheit.
»Du hast Recht«, verkündete er plötzlich. Er nahm den letzten Schluck von seinem Marill, stellte den leeren Becher entschieden auf den Boden und bedeutete mir mit einer eleganten Drehung der Hand und erhobenem Zeigefinger: Warte.
Als würde er wie eine Marionette an Fäden hängend vom Boden hochgezogen, schraubte er sich in die Höhe. Die Stube lag im Dunkeln, doch fand er unbeirrt den Weg zu seinen Satteltaschen. Ich hörte ihn raschelnd darin herumsuchen. Eine Minute später kam er mit einem Leinenbeutel zum Kamin zurück. Dicht neben mir ließ er sich nieder, als ginge es um ein Geheimnis, bei dessen Enthüllung nicht einmal die Dunkelheit Zeuge sein dürfte. Der Beutel auf seinem Schoß war fadenscheinig und fleckig, er zog ihn auf und nahm einen in ein prachtvolles Tuch verpackten Gegenstand heraus. Ich hielt den Atem an, als er es auseinanderschlug. Der Stoff floss über seine Hände wie schillerndes Öl; selbst im gedämpften Licht des erlöschenden Feuers strahlte das Rot und schimmerte das Gelb. Mit diesem Stück Tuch hätte er sich die Gunst eines jeden Fürsten erwerben können.
Doch war dieser köstliche Stoff nicht das, was er mir zeigen wollte. Er wickelte ihn von dem Gegenstand ab, den er bewahrte, und achtete nicht darauf, wie er sich auf dem rauen Bretterboden zu einem pfauenbunten Teich sammelte. Ich beugte mich vor, mit angehaltenem Atem und gespannt, welch noch größeres Wunder zum Vorschein kommen mochte. Die letzte
Weitere Kostenlose Bücher