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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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war zum Beispiel der Morgen, als Nachtauge und ich von einem Jagdausflug in der grauen Stunde vor Tagesanbruch zurückkehrten. Wir hatten Erfolg gehabt und ein Bergschaf erlegt, das nach den heftigen Schneefällen auf der Suche nach Weide talwärts gewandert war. Der Hang war steil, das Wildbret lag schwer über meinen Schultern, und die Haut in meinem Gesicht war von der Kälte, die vom klaren blauen Himmel brannte, zu einer Maske erstarrt. Ich sah einen dünnen Rauchfaden aus meinem Schornstein steigen und dicht hinter der Hütte die Dunstschleier über den nahe gelegenen heißen Quellen. Auf dem Kamm der letzten Anhöhe machte ich Halt, um zu verschnaufen und meinen Rücken zu strecken.«
    Ich sah es vor mir, klar und deutlich. Nachtauge stand neben mir, er hechelte Wolken. Mir war der Umhangzipfel, den ich um Mund und Kinn geschlungen hatte, fast am Bart angefroren. Ich schaute ins Tal und wusste, wir hatten Fleisch für mehrere Tage, unsere Hütte war eine feste Burg gegen die Unbilden des Winters, und wir waren fast zu Hause. Obwohl durchgefroren bis ins Mark und müde, empfand ich eine große Zufriedenheit. Ich schulterte das Schaf. Fast zu Hause, dachte ich zu Nachtauge hin.
    Fast zu Hause, hatte er wiederholt. Und in diesem gemeinsamen Gedanken spürte ich eine Bedeutungsschwere, die das gesprochene Wort niemals hätte vermitteln können. Zu Hause. Daheim. Eine Endgültigkeit. Ein Ort, wo man hingehört. Die bescheidene Hütte war nun mein Zuhause, ein tröstliches Ziel, wo ich erwartete, alles zu finden, was ich brauchte.
    Während ich noch dastand und auf diese Oase inmitten der kalten Weiße hinunterschaute, spürte ich eine Regung meines Gewissens, wie von einer vergessenen Verpflichtung. Es dauerte einen Moment, bis mir klar wurde, was fehlte. Eine ganze Nacht war vergangen, und ich hatte nicht ein Mal an Molly gedacht. Was war aus meiner Sehnsucht, meinem gebrochenen Herzen geworden? Was war ich für ein oberflächlicher Schuft, über einer Jagd meinen Kummer zu vergessen. Bewusst richtete ich meine Gedanken auf den Ort und die Menschen, die einst ZUHAUSE gewesen waren.
    Wenn ich mich in einem Stück Aas wälze, um mir den Geschmack in Erinnerung zu rufen, schimpfst du.
    Ich schaute Nachtauge an, doch er tat, als bemerkte er es nicht. Er saß im Schnee, die Ohren in Richtung der Hütte gespitzt. Der böige Eiswind wühlte in seinem dicken Pelz, konnte aber nicht bis auf seine Haut dringen.
    Soll heißen?, hakte ich nach, obwohl ich doch genau wusste, was er mir sagen wollte.
    Du solltest aufhören, an dem Kadaver deines vergangenen Lebens zu nagen, Bruder. Vielleicht genießt du niemals endenden Schmerz. Ich nicht. Es ist keine Schande, sich von alten Knochen abzuwenden, Wandler. Jetzt drehte er den Kopf, um mich aus seinen tiefliegenden Augen anzusehen. Auch zeugt es nicht von großer Klugheit, sich wieder und wieder selbst zu verletzen. Welche Treue schuldest du diesem Schmerz? Ihn ruhen zu lassen, macht dich nicht geringer.
    Damit hatte er sich erhoben, den Schnee abgeschüttelt und war zielstrebig den Hang hinuntergetrabt. Ich war ihm gefolgt, nicht allein beschwert vom Gewicht der Jagdbeute, sondern auch von vielen Gedanken.
    Ich wandte den Kopf und begegnete dem Blick des Narren, doch in der Dunkelheit konnte ich nicht in seinen Augen lesen. »Ich denke, das war die erste Ahnung von Frieden, die mir zuteil wurde. Nicht, dass ich es selbst gemerkt hätte. Nachtauge musste mich mit der Nase darauf stoßen. Für einen anderen Menschen wäre es vielleicht offensichtlich gewesen. Vergangene Schmerzen soll man ruhen lassen. Wenn sie aufhören, dich zu besuchen, sollst du sie nicht einladen.«
    »Über einen Schmerz hinwegzukommen, ist nicht unehrenhaft. Manchmal findet man Frieden einfach dadurch, dass man aufhört, ihm auszuweichen.« Die Stimme des Narren raunte durch den fast dunklen Raum. Ich hörte es rascheln, als er sich bewegte. »Und du hast nie wieder eine ganze Nacht wachgelegen, ins Dunkel gestarrt und an früher gedacht?«
    Ich stieß ein kurzes Hohnlachen aus. »Schön wär‘s. Leider kann ich nur sagen, dass ich aufhörte, mich absichtlich in meinen Weltschmerz zu versenken. Als endlich der Sommer kam und wir weiterzogen, war mir, als ließe ich eine alte, abgestreifte Haut zurück«
    Eine Weile schwiegen wir beide.
    »Dann hast du die Berge verlassen und kamst zurück in die Bocksmarken.« Der Narr wusste, dass es nicht so gewesen war; er wollte mich nur dazu bringen, dass ich

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