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Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann

Titel: Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Nachtauge sich hin und ringelte seinen Schwanz fein säuberlich um die Vorderpfoten. Er wollte nicht näher herangehen. Ich spürte die Stille seiner Gedanken, als er mich bewusst in meinem Kopf allein ließ.
    Schritt für Schritt näherte ich mich Veritas-als-Drache, das Herz schlug mir bis zum Hals. Dort, in einem aus Stein und der Gabe geformten Körper, schlief der Mann, der mein König gewesen war. Für ihn hatte ich mir Wunden schlagen lassen, dass sowohl meine Seele als auch mein Fleisch die Narben tragen würden bis an mein Lebensende. Doch als ich vor der reglosen Gestalt stand, brannten Tränen in meinen Augen, und ich spürte nur die Sehnsucht nach seiner vertrauten Stimme.
    »Veritas?«, fragte ich heiser. Mein Herz strebte zu ihm hin; Sprache, Alte Macht und Gabe suchten meinen König zu erreichen, fanden ihn nicht. Ich legte die Hände flach auf seine kalte Schulter, presste die Stirn an den harten Stein und spürte nach ihm, mit aller Kraft. Fern, ganz fern konnte ich ihn ahnen, aber es war nur ein schwacher Funke seines einstigen Selbst. Ebenso gut könnte man Waldschatten in der hohlen Hand fangen und sagen, man habe die Sonne berührt. »Veritas, bitte«, flehte ich ihn an und versuchte mit jedem Quentchen der Gabe, das in mir war, ihn zu berühren.
    Als ich wieder zur Besinnung kam, lag ich neben dem Drachen im hohen Gras. Nachtauge hatte sich nicht von der Stelle gerührt. »Er ist fort«, sagte ich zu ihm, der es längst wusste. »Veritas ist fort.«
    Ich neigte den Kopf auf die Knie und weinte, trauerte um meinen König, wie ich es nicht getan hatte an jenem Tag, als sein menschlicher Körper in der Gestalt des Drachen aufgegangen war.
    An dieser Stelle unterbrach ich meinen Bericht, um mich zu räuspern und einen Schluck Marill zu nehmen. Als ich den Becher hinstellte, begegnete ich dem Blick des Narren. Er war näher gerückt, um meine leiser und rau gewordene Stimme besser verstehen zu können. Der Flammenschein vergoldete seine Haut, konnte aber nicht enthüllen, was in seinen Augen verborgen lag.
    »Ich glaube, das war der Moment, in welchem ich mir eingestand, dass mein Leben zu Asche geworden war. Hätte ich Veritas noch erreichen können, wäre er nah genug gewesen, mir mit der Gabe zu antworten, so hätte ein Teil von mir sich gewünscht, FitzChivalric Weitseher bleiben zu dürfen. Doch er war von uns gegangen. Das Ende meines Königs war auch ein Ende für mich. Als ich aufstand und aus dem Steingarten ging, wusste ich, dass mir zuteil geworden war, was ich mir lange gewünscht hatte: Die Chance, herauszufinden, wer ich war, und die Freiheit, mein Leben nach meinem Willen zu leben. Von nun an traf ich allein die Entscheidung über mein Tun und Lassen.«
    Fast allein, stellte der Wolf richtig.
    Ich gab ihm keine Antwort, sondern erzählte weiter. »Wir besuchten noch einen weiteren Ort, bevor wir die Berge verließen. Du wirst dich daran erinnern. Der Pfeiler, wo ich sah, wie du dich verwandelt hast.«
    Er nickte stumm, und ich fuhr fort.
    Als wir zu der Stelle kamen, wo an einer Wegkreuzung ein Gabenpfeiler aufragte, erlag ich der Versuchung und blieb stehen. Erinnerungen brachen über mich herein. Das erste Mal war ich mit Merle und Krähe hier gewesen, mit dem Narren und Königin Kettricken, auf unserer Suche nach König Veritas. Hier hatten wir gerastet und in einer blitzartigen Vision sah ich anstelle des grünen Waldes einen von Menschen wimmelnden Marktplatz. Wo der Narr auf einem Pfeiler posiert hatte, stand eine Frau, wie er mit milchweißer Haut und nahezu farblosen Augen. An jenem anderen Ort in der Zeit trug sie eine hölzerne Krone mit geschnitzten Hahnenköpfen und geschmückt mit den Schwanzfedern von Hähnen. Ganz nach Art des Narren brachte sie mit ihren Possen die Menge zum Lachen. All das war das Bild eines Lidschlags, wie ein kurzer Blick durch das Fenster zu einer anderen Welt. Dann, von einem Atemzug zum anderen, war alles wieder wie vorher, und ich sah den Narren besinnungslos von seinem Sockel stürzen. Dennoch schien er das Gleiche gesehen zu haben wie ich.
    Das Geheimnis jenes Augenblicks war es, was mich zur Rückkehr dorthin bewog. Der schwarze Monolith in der Mitte des runden gepflasterten Platzes, gefeit gegen Moos und Flechten, lockte mich mit den Glyphen an seinen Flanken zu unbekannten Zielen. Heute wusste ich, was es damit auf sich hatte, im Gegensatz zu damals, als ich das erste Mal vor einem der Gabentore stand. Ich ging langsam um ihn herum. Da war

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