Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher 01 - Der lohfarbene Mann
Mundvoll, schluckte und zog eine Grimasse, doch fast sofort glättete sich seine tief gefurchte Stirn ein wenig. Er schaute kritisch in den Becher. »Gibt es keine Möglichkeit, auf etwas angenehmere Weise in den Genuss der Wirkung zu kommen?«
Ich grinste schief. »Einmal, ein einziges Mal, war ich verzweifelt genug, die Rinde einfach zu kauen. Nachher waren die Innenseiten meiner Wangen zerfressen und mein Mund war so zusammengeschrumpft, dass ich kaum einen Schluck Wasser hinunterbringen konnte, um den Geschmack loszuwerden.«
»Aha.« Er kleckste noch einen Löffel Honig in seinen Becher, trank und verdrehte die Augen.
Schweigen hing zwischen uns. Ein Rest der Unstimmigkeit von vorhin wollte sich nicht verflüchtigen. Wenn eine Entschuldigung nicht half, dann vielleicht eine Erklärung. Ich warf einen Blick auf den schlafenden Wolf in meinem Bett. Ich räusperte mich.
»Nun gut. Nachdem wir das Hohe Reich verlassen hatten, wanderten wir zurück zur Grenze der Bocksmarken.«
Der Narr hob die Augen zu meinem Gesicht. Das Kinn in die hohle Hand gestützt, aufmerksam und stumm, wartete er, während ich nach Worten suchte. Es fiel mir schwer. Stockend setzte ich für ihn die Chronik jener Tage zusammen.
Nachtauge und ich hatten uns Zeit gelassen auf unserer Reise. Fast ein Jahr dauerte der Umweg durch die Berge und über die weiten Ebenen Farrows, bis wir uns schließlich in der Gegend von Kräheneck in den Bocksmarken wiederfanden. Die ersten Vorboten des Herbstes machten sich langsam bemerkbar, als wir die in einen bewaldeten Hang hineingebauten Hütte aus Stein und Holz erreichten. Die hohen Tannen trotzten den Wetterunbilden, aber erste Fröste hatten das Laub der kleinen Büsche und Pflanzen gestreift, die auf dem bemoosten Dach siedelten, einige mit Gold gesäumt, andere erröten lassen. Die überbreite Tür stand offen und ein fast durchsichtiger Rauchfaden kräuselte sich aus dem gedrungenen Kamin. Wir brauchten nicht zu klopfen oder zu rufen. Die mit der Alten Macht im Inneren der Hütte wussten von unserer Anwesenheit, ebenso wie ich spüren konnte, dass Rolf und Holly sich drinnen befanden. Und tatsächlich erschien Rolf Schwarzbart auf der Schwelle. Er stand in dem höhlenartigen Halbdunkel seiner Behausung und schaute finster zu uns heraus.
»Also habt ihr endlich begriffen, dass es klug wäre zu lernen, was ich euch lehren kann«, begrüßte er uns. Die Bärenwitterung, die in der Luft hing, verursachte sowohl mir als auch Nachtauge Unbehagen. Trotzdem nickte ich.
Er lachte laut auf und sein Willkommenslächeln teilte den schwarzen Bartwald. Ich hatte die hünenhafte Gestalt des Mannes vergessen. Er kam heran und drückte mich an seine mächtige Brust, dass mir die Rippen knackten. Ganz fern spürte ich den Gedankenruf, den er an Hilda sandte, die Bärin, sein Geschwistertier.
»Altes Blut grüßt Altes Blut.« Holly kam heraus, um uns zu begrüßen, ernst, wie es ihre Art war. Rolfs Hausfrau war noch so rank und still, wie ich mich an sie erinnerte. Ihr Geschwistertier, Terzel, saß auf ihrem Handgelenk Er fixierte mich mit einem glitzernden Auge und schwang sich, als sie zu uns trat, in die Luft. Lächelnd und kopfschüttelnd schaute sie ihm nach, als er davonflog. Ihr Willkommen war zurückhaltender als Rolfs, aber dafür wärmer. »Es ist schön, dass ihr wieder den Weg zu uns gefunden habt«, sagte sie, dabei drehte sie vogelgleich den Kopf ein wenig und schenkte uns einen Seitenblick aus ihren dunklen Augen, begleitet von einem rasch aufblühenden und sofort in einer Wendung des Gesichts wieder verborgenen Lächeln. Sie stand neben Rolf, so schmal wie er breit, und strich sich das kurze, glatte Haar aus dem Gesicht. »Kommt herein und setzt euch mit uns zu Tisch.«
»Und dann werden wir einen Spaziergang machen, einen guten Platz für euer Heim suchen und anfangen zu bauen«, fügte Rolf hinzu, wie immer geradeheraus und praktisch. Er schaute durch die Lücken im Laubdach zum bewölkten Himmel. »Der Winter ist nah. Es war dumm von euch, erst so spät zu kommen.«
So einfach wurden wir zu einem Teil der Gemeinschaft der Zwiehaften, die in der Umgebung von Kräheneck lebten. Sie hausten im Wald und gingen nur für solche Dinge in die Stadt, die sie nicht selbst herstellen konnten. Ihre magischen Fähigkeiten hielten sie vor den Stadtleuten verborgen, denn ein Zwiehafter zu sein bedeutete ständige Gefahr, dem Sensenmann zu begegnen. Zwar bezeichneten Rolf und Holly oder die anderen sich
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