Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
durchdringend nach ihm stanken, erfüllte sie mit Abscheu. Es kribbelte auf ihrer Haut, als ob er sie noch einmal anfasste. Sie krempelte Ärmel und Hosenbeine hoch und zog den Gürtel fest um die Taille. Seine Stiefel waren viel zu groß und würden sie nur behindern; sie musste barfuß losgehen. Sie schob die Leiche zur Seite und hämmerte mit dem Messergriff an die Stahltür.
» Hey!«, schrie sie und wölbte eine Hand vor dem Mund, damit ihre Stimme tiefer klang. » Hey, ich bin hier eingeschlossen!«
Sekunden vergingen, ohne dass sich etwas rührte. Vielleicht war draußen niemand. Was würde sie dann tun? Sie hämmerte an die Tür, lauter diesmal, und betete, dass jemand kommen möge.
Dann drehte sich der Schlüssel im Schloss. Alicia sprang hinter die Tür, als der Wärter hereinkam.
» Verdammt, Sod, du hast mir doch gesagt, ich hätte dreißig Minuten…«
Aber diese Ausführungen wurden nicht mehr zu Ende gebracht. Alicia sprang hinter ihn, drückte ihm eine Hand auf den Mund und rammte ihm mit der anderen das Messer ins Kreuz, und sie drehte es um, während sie die Klinge nach oben drückte.
Sie ließ den Körper zu Boden gleiten. Blut lief heraus und bildete eine breite, dunkle Pfütze, und sein schwerer Duft stieg ihr in die Nase. Alicia dachte an ihr Gelübde. Ich werde diese Schweine leertrinken. Ich werde mich taufen mit dem Blut meiner Feinde. Dieser Gedanke hatte sie durch die Tage der Qualen getragen. Aber als sie die beiden Männer anschaute, erst den Wärter, dann Sod, dessen bleicher nackter Leib wie ein Fleck auf dem weißen Zement lag, da überlief sie ein Schauder des Ekels.
Nicht jetzt, dachte sie, noch nicht, und sie schlüpfte hinaus in den Korridor.
Das Spielfeld versank im Dunkeln. Einen Moment lang war es ganz still. Dann pulsierte aus großer Höhe ein kühles, wasserblaues Licht über dem Stadion und badete es in künstlichem Mondschein.
Lila war am Heck des silbernen Lastwagens erschienen. Die Rotaugen steckten ihre Sonnenbrillen ein. Hoppel hatte sein Flehen aufgegeben und schluchzte nur noch. Ein Kastentransporter kam auf das Feld gefahren. Zwei Kols stiegen aus, trabten nach hinten und öffneten die Tür.
Elf Leute kamen heraus, sechs Männer und fünf Frauen. Sie waren an Hand- und Fußgelenken gefesselt und aneinandergekettet. Sie stolperten, weinten und baten um ihr Leben. Ihre Angst war so groß, dass sie keinen Widerstand leisteten. Eine kalte Gefühllosigkeit hatte Sara erfasst, und sie befürchtete, sie müsse sich gleich übergeben. Eine der Frauen sah aus wie Karen Molyneau, aber Sara war nicht sicher. Die Kols schleppten sie zu Hoppel und befahlen ihnen, sich hinzuknien.
» Das ist der Wahnsinn«, sagte jemand in der Nähe.
Die Kols trabten, alle bis auf einen, davon und blieben bei Lila am Heck des großen Sattelschleppers stehen. Sie wiegte sich hin und her und legte den Kopf auf die eine und dann auf die andere Seite, als treibe sie in einer unsichtbaren Strömung oder tanze zu einer unhörbaren Musik.
» Ich dachte, das sollten zehn sein«, sagte die Stimme von vorhin. Es war einer der Rotaugen, zwei Reihen unter Sara.
» Ja. Zehn.«
» Aber da sind elf.«
Sara zählte. Elf.
» Geh lieber runter und sag es Guilder.«
» Machst du Witze? Heutzutage weiß man doch gar nicht mehr, was ihm in den Sinn kommt.«
» So was solltest du dir verkneifen. Wenn er das hört, bist du der Nächste.«
» Er hat eine Schraube locker, das sage ich dir.« Eine kurze Pause. » Aber dass mit Hoppel was nicht stimmte, habe ich immer schon gewusst.«
Die Worte drangen an Saras Ohr wie ein ferner Wind. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf das Spielfeld gerichtet. War das Karen? Die Frau sah älter aus und war zu groß. Die meisten Gefangenen hatten eine Abwehrhaltung eingenommen; sie knieten vornübergebeugt im verkrusteten Schnee und hielten die Hände über die Köpfe. Andere knieten aufrecht; das blaue Licht fiel auf ihre Gesichter, und sie hatten angefangen zu beten. Der letzte Kol schnallte sich die Schutzpolster an, stülpte den Helm auf den Kopf und winkte zur Tribüne hinauf. Jeder Muskel in Saras Körper spannte sich. Sie wollte wegschauen, aber sie konnte es nicht. Der Kol trat an die Tür des silberglänzenden Frachtcontainers und fummelte hörbar mit seinen Schlüsseln herum.
Die Tür schwang auf, und der Kol rannte davon. Eine Sekunde lang passierte gar nichts. Dann kamen die Virals zum Vorschein. Sie hüpften aus dem Lastwagen wie mannsgroße Insekten und
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