Die zwoelf Gebote
etwas dagegen tun konnte er auch nicht. „Nein, nein", versicherte er. „Es ist alles in Ordnung." Dann wurde ihm schlagartig klar, warum er gerade heute so bedrückt war. Heute war Mittwoch, eben der Tag, an dem Louise mit diesem gutaussehenden jungen Millionär, der sich nach einer Frau umsah, in die Oper gehen sollte.
Wahrscheinlich, sagte er sich, wird sie ihn mir vorziehen. Sarah hat schon recht. Ich bin nichts, und ich habe nichts, und besonders gut sehe ich auch nicht aus. Vielleicht hat Louise wirklich einen Fehler gemacht, als sie mich heiratete. Er sah es schon genau vor sich, was passieren würde. Louise würde nach der Oper heimkommen und sagen: „Roger, ich muß dir etwas sagen."
„Du brauchst es mir gar nicht erst zu sagen, Louise, ich weiß es
auch so."
„Ich habe mich in Ken verliebt."
„Ich kann es dir nicht verdenken. Er ist besser als ich." „Ich mag dich, Roger, aber Mutter hatte recht. Ich hätte einen Besseren heiraten sollen. Ich verlasse dich noch heute abend. Ken und ich werden unsere Flitterwochen in Paris verbringen." „Kommt deine Mutter mit?" „O nein. Sie will hier bei dir bleiben."
Am Abend zog Louise ihr hübschestes Kleid an. „Du machst dir ja nichts aus Opern, nicht, Roger?" fragte sie.
„Nein", log Roger. „Aber ich weiß, wie sehr du Opern liebst.
Ich wünsche dir viel Vergnügen."
„Danke, Liebling!" Und sie küßte ihn.
Das war wahrscheinlich das letzte Mal, daß sie mich küßte, dachte Roger.
Da klingelte es auch schon an der Tür. Es war Ken, er war in Abendkleidung und sah phantastisch aus.
Er gab Roger die Hand. „Vielen Dank, daß Sie mir Ihre Frau ausleihen."
„Keine Ursache", sagte Roger. Schon bald wird sie sowieso deine sein.
Er sah ihnen nach, wie sie gingen, und das Herz war ihm schwer.
„Spül das Geschirr!" kommandierte Sarah. „Ich gehe schlafen.."
Roger spülte das Geschirrt trocknete es ab, putzte die Küche
und ging ebenfalls zu Bett. Aber er konnte natürlich nicht
schlafen. Er wartete auf Louises Rückkehr und daß sie ihm
sagte, es sei zu Ende mit ihrer Ehe.
Um elf war sie immer noch nicht da.
Und auch um Mitternacht noch nicht.
Roger stand auf und lief ruhelos im Flur auf und ab. Endlich, um ein Uhr morgens, kam Louise. „Ich habe Neuigkeiten für dich", sagte sie.
Roger wußte, was käme. Ich werde nicht weinen, dachte er. Auf
keinen Fall lasse ich mir anmerken, daß sie mir das Herz
gebrochen hat.
„Fang an", sagte er.
Louise legte die Arme um ihm. „Ich habe den langweiligsten Abend meines Lebens hinter mir, kann ich dir sagen. Dieser Ken hat pausenlos gequasselt. Und hinterher, nach der Oper, schleppte er mich noch zu einer sterbensfaden Party." Sie lachte. „Ich will den Kerl nie im Leben wiedersehen, sage ich dir. Du bist der einzige Mann, mit dem ich zusammen sein möchte."
Roger glaubte nicht richtig zu hören. Dann stammelte er: „Aber das ist ja wundervoll!"
Sarah kam aus ihrem Zimmer. „Werdet ihr zwei endlich still sein? Ich kann nicht schlafen!"
Am nächsten Morgen stieg Roger in sein Auto und war wieder ein sehr, sehr glücklicher Mann. Er war dabei, rückwärts aus der Einfahrt hinauszurangieren, als er im Rückspiegel seine Schwiegermutter direkt hinter dem Auto sah. Sie beugte sich gerade hinunter, um die Zeitung aufzuheben.
Bis auf diesen Tag ist Roger sich nicht sicher, ob nun sein Fuß abrutschte und irrtümlich auf das Gaspedal trat statt auf die Bremse, oder ob seine unterbewußte Absicht dahinter stand. Sicher ist nur, er fuhr seine Schwiegermutter nieder, und sie war auf der Stelle tot.
Die Kirche ist der Ansicht, daß eine Sünde, auch wenn man sie nur im Herzen und in Gedanken begeht, genauso schlimm ist wie die wirkliche Ausführung einer sündigen Tat. Demzufolge hatte Roger bereits gesündigt, als er versuchte, seine Schwiegermutter zu vergiften, mit Strom zu töten und zu ersticken. Also hatte er, so oder so, das Fünfte Gebot gebrochen: Du sollst nicht töten.
Die Polizei zeigte sich Roger gegenüber sehr mitfühlend. „Ein ganz tragischer Unfall, kein Zweifel."
So kam es, daß Roger und Louise schließlich doch noch allein leben und sich der Million Dollar erfreuen konnten, die Louises Mutter hinterlassen hatte.
6. KAPITEL
DAS SECHSTE GEBOT: DU SOLLST NICHT EHEBRECHEN.
Joe Smith war ein Gauner. Keiner von den ganz großen Ganoven, nur so ein kleiner Gauner. Seit er zehn Jahre alt war, hatte er es schon mit der Mafia zu tun. Als Jugendlicher besorgte er Botengänge, als
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