Die Zwölf Türme (German Edition)
lächelten und nickten zustimmend, doch dann hielten sie alle in ihren Tätigkeiten inne und spitzten lauschend die Ohren.
Wieder hörten sie eine Mädchenstimme, die direkt aus einer in der Nähe stehenden Weißbuche zu kommen schien:
"Der Wald ist unser Heim und unser Leben,
er schirmt uns von der Welt draußen ab und bewahrt uns vor ihren Grausamkeiten.
Der Wald reicht allen ihm Wohlgesinnten seine grüne Hand als Freund.
Zu allen, die seine Sprache verstehen, spricht er mit all dem Leben, das in ihm verborgen ist.
Er ist ein guter Freund, doch viele Menschen haben das leider schon lange vergessen."
Als die Worte verklungen waren, trat aus dem Stamm der Weißbuche eine anmutige Gestalt heraus, so als wäre das Holz der Buche nur Luft, die ihr Körper mühelos durchdringen konnte.
Es war eine Frau von solch märchenhafter Schönheit, dass ihr Anblick die Gefährten verzauberte und in ihren Bann schlug.
Auch aus einem anderen Baum, einer mächtigen Eiche, trat eine weitere weibliche Gestalt hervor, die der Ersten wie eine Zwillingsschwester glich.
Beide waren völlig unbekleidet, ohne jedoch deshalb auch nur die geringste Spur von Befangenheit zu zeigen. Die Haut ihrer makellosen Körper war braun wie das Holz der Bäume und ihr langes, bis zu den Hüften hinabfallendes Haar hatte die Farbe der Blätter in den Baumkronen.
"Sind das Dryaden?" fragte Charles den Adepten flüsternd vor Ehrfurcht.
Umbras nickte und schickte sich an, zu den beiden Waldfeen zu sprechen, doch sie bedeuteten ihm zu schweigen.
"Wir wissen, warum ihr hier seid", sprach die Weißbuchendryade, "Ich bin Alcide und das hier ist meine Schwester Angalice. Wir haben die Aufgabe, euch den Weg zur Hexe Assunta zu weisen und über euch zu wachen, solange ihr euch in unserem Gebiet aufhaltet."
Die andere Dryade zeigte mit ihrem braunen Arm auf das vorbei plätschernde Bächlein.
"Folgt diesem Bach gegen seinen Lauf bis zu seiner Quelle. Dort findet ihr Assunta. Wir werden euch im Verborgenen begleiten und euch warnen, falls euch Gefahr droht, solange ihr euch noch in unserem kleinen Reich befindet. Wir wünschen euch viel Glück bei dem, was ihr zu tun habt."
Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, da lösten sich die beiden märchenhaften Gestalten vor ihren Augen in Luft auf, als hätte es sie nie gegeben.
"Diese Welt ist wahrhaftig voller Wunder", murmelte Charles leise und fast andächtig.
Zum ersten Mal seit Tagen legten sie sich mit dem Gefühl sicherer Geborgenheit zum Schlafen nieder. Sie wussten, dass die Dryaden ihren Schlaf bewachten und kein Unheil zulassen würden.
Doch Christine wachte in der Nacht auf und bekam ein weiteres Wunder des Tyronwaldes zu sehen, während die anderen tief und fest schliefen.
Zuerst glaubte sie nur zwei wilde Pferde von edelstem Geblüt zu sehen, die einander im silbernen Licht des Mondes spielerisch umtänzelten.
Doch dann erblickte Christine die armlangen, spiralig gedrehten Hörner, die hell im Mondlicht schimmerten. Mähnen und Schweife waren silbrig und strahlend wie flüssiges Metall.
"Einhörner", flüsterte Christine hingerissen und staunend, "Wie schön sie sind."
Leise stand sie auf und ging langsam auf die beiden Fabelwesen zu, die ihren spielerischen Tanz unterbrachen und sich ihr zuwandten. Mit leisem Schnauben begrüßten sie die Frau; große, dunkle und ausdrucksvolle Augen sahen sie an, in denen Freundlichkeit, Zuneigung, ja, sogar so etwas wie Liebe zu schimmern schien.
Die wunderbaren Geschöpfe ließen Christine ganz nahe an sich herankommen und als sie ihnen die geöffneten Hände behutsam entgegenstreckte, wichen sie nicht zurück, obwohl sie unruhig mit den gespaltenen Hufen scharrten und tänzelten.
Während ihre Hände den fein geschwungenen Hals des einen Tieres zärtlich streichelte, stupste die samtweiche Schnauze des anderen sanft und mit unbeschreibbarer Zartheit an ihre Wange und an ihren Hals.
Christine fühlte sich in diesem Augenblick von einem unsagbaren Glücksgefühl erfüllt, wie sie es noch nie erfahren hatte, dass sie vor Freude leise weinte. Ein Traum, den sie als kleines Kind geträumt hatte, war hier Wirklichkeit geworden.
Ihr Herz schlug wie rasend und ihre Seele jauchzte vor Entzücken in ihrem Innersten. Für diesen Augenblick allein hätte sie alles hergegeben, wenn es von ihr dafür verlangt worden wäre.
Schließlich jedoch wichen die zauberhaften Geschöpfe tänzelnd zurück, neigten die edlen Köpfe wie zu einer Verbeugung, wieherten
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