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Die Zwölf Türme (German Edition)

Die Zwölf Türme (German Edition)

Titel: Die Zwölf Türme (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz R. Friedhoff
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wortlos eine Nadel aus dem Knäuel, hielt ihm einen der Fäden entgegen und bedeutete ihm, den Anfang des Fadens durch das Nadelöhr zu führen. Dies gelang ihm erst nach einigen Versuchen. Als er es endlich geschafft hatte, war Janiva wieder verschwunden. Er begann sie zu suchen, indem er jedes Mal einem anderen der farbigen Fäden folgte, die das Kind als Spuren hinterlassen hatte. So gelangte er nach und nach in jeden Turm, wo er immer wieder in die oberste Kammer hinaufstieg. Immer, wenn er glücklich dort angekommen war, traf er dort wieder das kleine Mädchen und einen der großen Kristalle, die er jedes Mal durch die Berührung mit dem Zepter zum Leben erweckte.
    Es war immer dasselbe Kind, das er dort antraf und doch war es bei jeder neuen Begegnung immer ein wenig anders.
    Immer dann, wenn Charles gerade mit ihm ins Reden gekommen war, verschwand das Kind wieder wie vom Erdboden verschluckt. Doch nach jedem Male fühlte er sich nach einer solchen Begegnung ein wenig erholter und, wie er zu seinem Erstaunen bemerkte, etwas weniger einsam und etwas weniger traurig.
    Schließlich wollte er auch noch in den zwölften Turm eindringen, doch diesmal verwehrte ihm Janiva den Zutritt.
    "Warum soll ich nicht dort hinein?" fragte er, "Ich habe das Gefühl und eine große Sehnsucht, dass dort all meine Einsamkeit und mein Unglücklichsein von mir genommen wird."
    "Das ist schon richtig", sprach das Kind, "aber dies ist der letzte Turm und auch der Letzte aller Wege und dafür ist es für dich noch zu früh. Hier darfst du erst hinein, wenn deine Zeit gekommen und deine Lebenskerze niedergebrannt ist. Dann wirst du hierher zurückkehren und dann darfst du auch diesen Turm betreten, sofern es dir bis dahin gelungen ist, die unsichtbare Mauer niederzureißen, die du um dich herum errichtet hast und die dich von anderen Menschen trennt. Reiße diese Mauer endlich nieder oder lass es zu, dass jemand anderes sie zerstört, dann wird auch die Einsamkeit und die Traurigkeit von dir und deinem Leben genommen. Erst wenn es diese Mauer zwischen dir und deinen Mitmenschen nicht mehr gibt, wirst du den Weg deines Glückes finden können."
    "Aber was ist des Menschen Glück?" fragte Charles unzufrieden.
    "Den Weg seines Glückes zu finden", sprach sie, "ist dem Menschen schon durch die Macht seiner Zweifel erschwert. Noch bevor er eine feste Vorstellung von seinem Glück hat, wendet sein Zweifel ein, ob es wirklich lohnenswert sei, sich allen Ernstes um ein fragwürdiges Glück zu bemühen und sich dabei auf einen Lebensweg zu begeben, der doch gewiss voller Anstrengungen und Risiken sein werde und bei dem bei hohen Erwartungen Enttäuschungen nicht ausbleiben können. Jedes Glück müsse sich doch in der Alltäglichkeit des Lebens damit bescheiden, nur eine stille letzte Sehnsucht zu bleiben. Noch stärker wird der Zweifel, wenn der Mensch nach den Voraussetzungen eines möglichen Glückes fragt. Wenn er mit Bestimmtheit wissen will, ob denn die Welt überhaupt so beschaffen ist, den Menschen glücklich werden zu lassen. Und sehr bedeutsam ist schließlich auch der Zweifel, der sich gegen den fragenden und suchenden Menschen selbst richtet: Wenn er wissen will, ob er unter den inneren Bedingungen seines Menschseins überhaupt zu dauerndem Glück fähig sein kann. Der Mensch ist ja kaum fähig, sich der Herrschaft von Gefühlen, Trieben und Bedürfnissen zu entziehen, die ihn immer wieder auf´s Neue in leidvolle Abhängigkeiten treiben. Und ist er schließlich nicht auch unfähig, seine Gefühle von der Vorherrschaft der Angst vor dem Scheitern zu befreien, die ihn nicht mehr offen dafür sein lässt, wenigsten für kurze Augenblicke Glück zu empfinden? Das durch den Menschen mögliche Glück verkommt oft auch nur zu der bloßen Erwartung, dass es sich durch Zufall VON SELBST einfinden möge. Aber was kann das schon für ein Glück sein, welches das Leben eines Menschen schicksalhaft in einen Wartezustand versetzt, das also die Freiheit des Mitwirkens am eigenen persönlichen Glück missachtet? Und welchen gültigen Sinn sollte denn ein Glück haben, das man sich nicht selbst abgerungen hat? Eine Antwort auf die Frage, was denn des Menschen Glück sei, kann nicht gefunden werden, wenn der Mensch sein Denken und Handeln ausschließlich in den Dienst des zerstörerischen Zweifels gestellt hat. Man darf das Glück nicht bezweifeln, aber man darf es auch nicht nur erwarten oder versuchen, es zu erzwingen.
    Glück ist nichts anderes als

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