Die Zypressen von Cordoba
Euch, Abu Suleiman – oder sollte ich sagen
Abu Hai? –, was hat dieser stille, rechtschaffene, harmlose
Gelehrte verbrochen, daß er es verdiente, mit Gewalt aus seinem Zuhause
und aus unserer guten Stadt Córdoba vertrieben zu werden? Als man ihn
vor einigen Wochen mitten in der Nacht zum ersten Mal verprügelt
hat – und mich dabei zu Tode erschreckte, wenn ich das
hinzufügen darf –, sind wir davon ausgegangen, daß in Eurer
Abwesenheit Ordnung und Disziplin zusammengebrochen waren. Heute aber
ist das nicht der Fall, da ja die Neuigkeit von Eurer Rückkehr sich
gestern abend wie ein Lauffeuer durch die Gemeinde verbreitet hat. Ich
verlange, die Gründe für diese empörenden Vorfälle zu erfahren! Des
weiteren verlange ich volle Wiedergutmachung für die Schäden an meinem
Haus sowie für den Mietverlust, den ich nun wegen der brutalen
Vertreibung meines Mieters erleiden muß.«
»Aber natürlich, Witwe Tamara«, erwiderte Da'ud gewandt. »Ich
verstehe Eure Empörung. Ich bin über die Geschehnisse genauso
schockiert und betroffen wie Ihr. Ihr sagt, mein Sekretär wurde während
meiner Abwesenheit schon einmal überfallen? Habt Ihr eine Vorstellung,
warum?«
»Es hieß, zwischen ihm und dem Dichter Saul habe es ein
Zerwürfnis gegeben. Menahem hätte behauptet, Saul hätte in einem seiner
Gedichte eine skandalöse Anspielung gemacht, und zwar auf verbotene
Beziehungen zwischen Männern und Jünglingen, soweit ich das verstanden
habe. Man munkelt, Saul steckte hinter diesem Vorfall.«
»Vielleicht ist der Zwist seither noch gewalttätiger
geworden«, bemerkte Da'ud geistreich. »Ich danke Euch, daß Ihr gekommen
seid, um mich über diese Angelegenheit in Kenntnis zu setzen. Ich werde
sie genau untersuchen, sobald der Sabbat vorüber ist. Was die
Entschädigung betrifft, so braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen.« Er
hielt einen Augenblick inne, dachte nach und fuhr dann fort. »Es stimmt
doch, daß Ihr ein kleines Stück Land zwischen der Stadt und den
Ausläufern der Berge Euer eigen nennt?«
»Das ist richtig«, erwiderte die Witwe steif.
»Steht ein Haus darauf?«
»Ein kleines Häuschen, aber es ist verlassen.«
»Könnte man es wieder bewohnbar machen?«
»Sicherlich. Es war einmal ein zauberhaftes kleines Anwesen.«
Tamaras Blick schweifte in die Ferne, als sie sich erinnerte: »Wir
hatten dort einen Pächter, der uns von diesem Stück Land mit beinahe
allem versorgte, was für unseren Haushalt notwendig war. Seine Frau
kümmerte sich um das Haus, als wäre es ein Palast, und jeder schlichte
Gegenstand war für sie wie ein kostbarer Schatz. Aber das war vor
vielen Jahren, als mein armer Isaac noch lebte.«
»Als Entschädigung schlage ich Euch vor, daß die Schuldigen
oder, falls man ihrer nicht habhaft wird, die Gemeinde für Euch dieses
kleine Häuschen renovieren soll. Dann könnt Ihr es vermieten,
vielleicht an Menahem selbst, da ja nun das Leben in Córdoba für ihn
unerträglich geworden ist.«
»Hat er denn ausreichende Mittel, um mich regelmäßig zu
bezahlen?« erkundigte sich Tamara mißtrauisch.
»Das wird geregelt. Habt keine Sorge, ich will Euch nicht
betrügen, wie es schon so viele andere getan haben. Ihr erhaltet von
mir eine schriftliche Erklärung und alle notwendigen Sicherheiten, für
die ich persönlich bürge. Ich hoffe, das ist zu Eurer Zufriedenheit.
Jetzt wird Euch einer meiner Diener nach Hause begleiten und Euch
helfen, Menahem wieder auf die Beine zu bringen. Zusammen könnt Ihr ihn
dann mit all seinen Habseligkeiten zu dem kleinen Häuschen bringen, und
dort kann er die Nacht über bleiben. Es mag dort vielleicht nicht sehr
bequem sein für ihn, aber er ist zumindest in Sicherheit.«
Nachdem er einen Diener gerufen und seine Befehle gegeben
hatte, geleitete Da'ud selbst die Witwe zur Tür und versicherte sich,
daß sie, in Gesellschaft eines seiner Diener, auf dem Heimweg war.
Während Da'uds kurzer Abwesenheit tauschten
Sari und Djamila im Garten Blicke äußerster Besorgnis. Obwohl sie im
Charakter sehr unterschiedlich waren – Sari so schüchtern und
zurückhaltend wie Djamila lebhaft und unternehmungslustig –,
waren doch beide Frauen verblüfft darüber, wie Da'ud mit einem
Handstreich Menahems Schicksal besiegelt hatte. Die Szene, die sie
gerade miterlebt hatten, bot ihnen eine seltene Gelegenheit, ihren Mann
zu beobachten, wie er Menschen und Situationen seinem Willen unterwarf.
Das Geschick, das er dabei an den Tag gelegt hatte, erfüllte sie
Weitere Kostenlose Bücher