Die Zypressen von Cordoba
sonnengebräunten
Unterarme hob.
»Die Zeit fordert ihren Tribut«, erwiderte Sari traurig. »Er
leidet neuerdings an Gelenkschmerzen. Er sieht natürlich zu, daß er
sich ausreichend bewegt, und beschränkt sich gewissenhaft auf leichte,
wenig gewürzte Speisen. Er läßt sich auch ab und zu selbst zur Ader.
Das scheint ihm einige Linderung zu verschaffen, doch schon bald kehren
die Schmerzen zurück, besonders im Winter. Obwohl er Arzt ist, erträgt
er Schmerzen nur schlecht, und er weigert sich, das Mittel anzuwenden,
das er so oft anderen verschrieben hat, einen Umschlag aus Taubendung,
glaube ich. Er sagt, er könne einfach den Geruch nicht ertragen. Du
kennst ihn so gut wie ich und kannst dir sicher vorstellen, wie tapfer
er seine Beschwerden vor der Außenwelt verbirgt. Hai und ich müssen den
Großteil seines Unmuts ertragen, wenn er sich in der Abgeschiedenheit
unseres Heims einmal gehen läßt. Hai ist geduldiger und mitfühlender,
als man das von einem Jungen seines Alters erwarten würde, aber wie
alle Kinder braucht er die Gesellschaft von Brüdern und Schwestern, die
ihm zu Hause fehlt.«
»Er ist ein intelligenter, sensibler Junge. Vielleicht kommt
er nur deshalb so gern hierher, weil er den kindlichen Wunsch hegt, uns
dafür zu entschädigen, wie sein Vater uns behandelt hat? Er hat
vielleicht sogar deine Mißbilligung gespürt und ist davon beeinflußt
worden. Kinder bekommen oft mehr mit, als wir Erwachsenen meinen.«
»Ich weiß nicht. Wir haben nie darüber geredet. Später
vielleicht, wenn er erwachsen ist. Ich möchte, daß er seinen Vater
lieben und ehren lernt, was immer er auch in späteren Jahren über seine
Untugenden herausfinden mag. Im Augenblick genießt er wahrscheinlich
einfach nur die entspannte Atmosphäre in eurem Zuhause und die
Gesellschaft der beiden lebhaften Mädchen.«
Djamila verfolgte das Thema nicht weiter. »Du weißt, daß Hai
hier immer willkommen ist. Ich habe stets mein Bestes getan, damit hier
sein zweites Zuhause ist, damit das Band zwischen ihm und seiner
Halbschwester nie durchtrennt wird.«
»Das ist dir über alle Erwartungen gut gelungen. Er und Amira
sind nicht nur beste Freunde, er scheint auch Dalitha, deine und
Menahems Tochter, unter seine brüderlichen Fittiche genommen zu haben.«
»Ja, er ist von Anfang an unendlich lieb zu ihr gewesen. Aber
komm, es ist Zeit, daß wir das festliche Mahl auftragen, das wir ihm
anläßlich seiner Bar Mizwa versprochen haben. Und dann müssen wir ihm
noch unser Geschenk überreichen.«
»Ein Geschenk ist doch nicht nötig. Da'ud hat dafür gesorgt,
daß Amira ihm …«
»Nicht Da'ud, liebe Sari«, unterbrach Djamila sie, indem sie
ihr fest die Hand auf den Unterarm legte. »Wir. Menahem, Dalitha, Amira
und ich.«
»Was für eine Verrücktheit habt ihr euch wieder ausgedacht?«
»Keine Verrücktheit. Komm«, sagte Djamila und ging ihr voraus
auf die andere Seite des Hauses. »Wir haben einen Teil unseres
Gemüsegartens abgetrennt, mit dem Hai jetzt machen kann, was er möchte.«
Saris Augen wurden vor Rührung ganz feucht. »Wie passend«,
murmelte sie.
»Genau, und zudem ist es ein Geschenk, das in unserer Macht
steht. Menahem und ich haben oft bemerkt, wie eingehend er jede Pflanze
untersucht, die ihm unter die Augen kommt – Blüten, Blätter,
Wurzeln, alles. Dieses kleine Stückchen Erde wird es ihm möglich
machen, Samen zu säen, zuzuschauen, wie sie wachsen, und seine Studien
zu treiben, wohin ihn seine Neugier auch führen mag.«
Während Djamila sprach, blitzte vor Saris innerem Auge die
Erinnerung an die Reihe von Pflanzen wieder auf, die in Da'uds Zimmer
in seinem Elternhaus auf der Fensterbank gestanden hatte, zarte
Pflänzchen, die er, in seinem Bemühen, sie ins Leben zurückzulocken,
ihrer Obhut anvertraut hatte. Jetzt lebte sein jugendlicher
Forschergeist in ihrem einzigen Sohn wieder auf. Für welche Zwecke
würde Hai all das Wissen einsetzen, das er ansammelte? fragte sie sich.
Würde er nur die Grenzen des menschlichen Wissens erweitern wollen wie
Da'ud in jungen Jahren, oder würde er sich daran machen, das Los seiner
Mitmenschen zu verbessern? Sie für ihren Teil hoffte, daß aus ihm der
wahre Arzt würde, der sein Vater trotz seines großen Ruhmes nie gewesen
war.
»Mehr konnte man von diesen Bauern auch
nicht erwarten«, meinte Da'ud geringschätzig, als Sari ihm von Menahems
und Djamilas schöner Geste berichtete.
»Ich finde es rührend, daß sie Hai bei seinem Studium
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